Das Musterbuch (German Edition)
wir euch nur besuchen wollen?"
Das Thema wurde nicht weiter diskutiert. Hingegen berichtete Giovanni stolz von seinen Söhnen, die beide der Scuola di San Marco angehörten. "Alvise wird demnächst in diplomatischer Mission nach Apulien gehen, und Giovanni Battista muss sich wohl bald schon nach einem eigenen Heim umschauen...". Antonia schaute verlegen nach unten; ' sollte das etwa heissen, dass er vergeben war? ...' - dachte sie. Da bemerkte sie, dass der junge Architekt ihre schönen, unberingten Hände fixierte.
Als der Abend spät wurde, und die Gäste in ein albergo gehen wollten, sagte Giovanni zum Abschied:" Sag deiner Marchesa, ich werde ihr ein Bild schaffen, allerdings nach meinem Geschmack und für 150 Dukaten. Wenn sie Interesse hat, einen Bellini für sich zu beschäftigen, so erzähle ihr von einem nicht so alten, aber sehr begabten Rahmen-Schnitzer, der ihr nützlich sein könnte." Dabei schaute er seinen Bruder Niccolò an und zwinkerte ihm zu. Antonia war indes enttäuscht, dass der Vater nicht den eigenen Sohn meinte.
Andrea bedankte sich, Nicolosia umarmte ihre Schwägerin und sie versprachen einander, sich bald wiederzusehen. Giovanni Battista erbot sich dann noch, die Familie Mantegna in ein albergo zu führen.
"Morgen Vormittag könnte ich euch noch die Frari-Kirche zeigen. Vater hat dort sein grosses Triptychon aufgestellt; er sagt, es sei sein schönstes Werk!"- "Also gut", Andrea war neugierig geworden, "morgen früh um 10 Uhr vor der Kirche."
***
Als sie die Kirche am nächsten Morgen betraten, gingen Giovanni Battista und Antonia hinter den Eltern. Andrea wusste oder ahnte, welchen Weg er einschlagen musste. Er schritt direkt in die Sakristei und betrachtete die 'Ikone' Bellinis: die Heiligen Nikolaus, Petrus, Markus und Benedikt rahmten die Madonna in der Mitte, umgeben von musizierenden Engeln. Benedikt schaute dem Betrachter entgegen, ihn einladend. Dieses Altarbild drückte eine Sprache der Vergangenheit aus, die Sprache der Ikonenmalerei! Stasis und Demut, Sanftheit und Schlichtheit. In diesem Werk hat Giovanni das Schlusswort einer Epoche gesprochen und gleichsam die Zukunft angekündigt und doch so sentimental die vorangegangenen Jahrhunderte beschwörend. Der Rahmen war einzigartig schön! Im Werk sprach vor allem das Licht eine eigene Sprache. Und wir - die Betrachter dürfen daran teilhaben , ging es dem Maler durch den Kopf.
Nicolosia sah, wie angetan ihr Mann war, und sicherlich dachte er dabei an sein Werk von San Zeno, das zwar modern und innovativ, antikisch - aber so wenig sakral im Vergleich zu diesem Werk war!
Während Antonia und Giovanni Battista sich eingehend über Poesie und antike Autoren unterhielten - und Antonia hatte eine Menge Bücher ihres Vaters gelesen! - kamen Andrea und Nicolosia zurück aus der Sakristei und nahmen die Tochter mit sich vor die Tür. Giovanni Battista folgte ihnen und war erstaunt über das erhitzte Gesicht des Malers aus Padua. "Ich werde jetzt noch deinen zio Gentile besuchen, bevor wir abreisen. Hättest du Lust und Zeit, dich derweil um meine beiden Frauen zu kümmern?" ' Nichts lieber als das', dachte der junge Architekt und machte eine Geste der Einladung. Andrea strebte danach dem Dogenpalast zu, wo sich Gentile, der Information seines Neffen nach, aufhielt.
Gentile war umgeben von einer Vielzahl von jungen Männern, die seine Anweisungen entgegennahmen. "Tiziano, komm hierher und mach die Sinopie fertig; Giorgione, du mischt mir die Farben an und Lorenzo, kannst du vielleicht schon die Köpfe zeichnen?" Andrea merkte, dass Gentile alle Hand zu tun hatte, die Mannschaft gezielt einzusetzen. Es galt Eile, denn sie waren mit der Ausmalung des Saales des Maggior Consiglio stark in Verzug geraten.
"Hallo, Andrea. Was für eine Überraschung!" In einen Gespräch erläuterte Gentile dem Schwager die Schwierigkeiten, die sich in der Zeitplanung ergaben. "Ich dachte, mein Bruder Giovanni würde in meiner Anwesenheit alle Fresken fertig gestellt haben, aber vielleicht war ich nicht lange genug in Konstantinopel. Und jetzt hat er viele andere Aufträge, die ihn beanspruchen. Aber die Herren da oben" - er wies auf das Appartement des Dogen - "werden langsam ungeduldig." Andrea warf noch beim Verlassen der Sala einen Blick auf die Mannschaft. "Derzeit beschäftigen wir die besten jungen Maler: Giorgione Barbarelli aus Castelfranco, Tiziano Vecellio aus Pieve di Cadore und Lorenzo Lotto aus Venedig. Ein jeder genial auf seine
Weitere Kostenlose Bücher