Das Musterbuch (German Edition)
ein Gesicht zieht, als wäre er just vom Heiligen Johannes getauft worden!" Antonia hatte nie so viel gelacht, wie in dieser Zeit und Vater Andrea tat gut daran, die Zimmer der beiden jungen Leute möglichst in entfernt gelegenen Flügeln eingerichtet zu haben. Nicolosia hingegen war gegen eine Beziehung zwischen ihrer Tochter und dem Sohn ihres Sohnes grundsätzlich nicht abgeneigt, aber wie sollte das funktionieren?
Als Giovanni Battista dann aber seine eigene Alloggiamento bezog, war die Situation viel undurchsichtiger, zumal Antonia tagsüber sehr lang ausging, ohne den Eltern ihr Ziel zu nennen. Doch was verstanden die Eltern schon von der Liebe?
Von irdischer Liebe verstand Andrea vielleicht weniger als die Bellini-Familie, hingegen war er derjenige, der für die Verbreitung seiner Werke und damit für die Bekanntmachung seines Rufes als Hofmalers sorgte. Hierfür verwendete er die Drucktechnik.
Erst seit Mitte des Jahrhunderts hatte Gutenberg durch die Drucktechnik eine Revolution ausgelöst, es entstand der Buchdruck. Der Künstler Albrecht Dürer aus Nürnberg hatte Mantegna eingehend davon berichtet und wie er, Albrecht, die Drucktechnik zur Entstehung seiner druckgraphischen Blätter einsetzte, indem er durch die Strichführung mit dem Grabstichel malerische Tiefe und Plastizität erzeugte. Viele schöne Büttenblätter hatte er ihm vorgelegt: eine 'Heilige Familie mit Heuschrecke', 'Krieger' und einen auch Holzdruck von der 'Marter der Zehntausend'. Er erzählte von seinem grossen Vorbild, Martin Schongauer aus Colmar, der bereits tot war, als Dürer ihn im Jahre 1491 besuchen wollte. Aber seine Kunst überlebte!
Dürer erläuterte das Kupferstich-Verfahren, das einer Goldschmiedegravur ähnlich war, wobei die Stecherkunst der oltramontani sicherlich eine Art Vorreiterrolle spielte. Hingegen stellte Mantegna dem jungen Deutschen einen breiten Stichel, die ciappola vor, mittels derer feinere Schraffuren und Umrisse zu realisieren waren.
Auch Italien hatte eine Anzahl bedeutender Kupferstecher bereits hervorgebracht: Baccio Baldini, Francesco Rosselli und Antonio Pollaiuolo waren die drei bekanntesten aus Florenz, Jacopo de'Barbari, Ugo da Carpi und Giulio Campagnola wurden Meister ihres Faches im Norden. Vor allem interessierte Mantegna sich für diese Technik, die ihm unsterblichen Ruhm versprach.
Andrea setzte Kompositionen seiner Leinwandbilder zum 'Triumph Cäsars' in dieser Technik um, sogar auch Entwürfe hierzu, die nie realisiert wurden, beispielsweise eine 'Senatorenfolge'. Aber noch mehr Vergnügen bereitete es ihm, die vom jungen Deutschen ausgelöste Lust am weiblichen Körper in Stichelstrich einzufangen. Es entstand ein Stich mit vier tanzenden Frauen, von Albrecht hingegen ein Blatt mit den erotischen Hexen.
So war der Versuch Andreas, in der Kunst unsterblich zu sein, geradezu eine Liebeserklärung - eine Liebeserklärung an die Kunst! Dafür lebte Andrea und er wusste, dass er hierfür noch nicht alle Ziele erreicht hatte.
Dieses Pathos des introvertierten Mantegna spürte der junge Bellini freilich nicht. In einem Gespräch beim Durchstreifen der Stadt, ging es einmal nicht um Sachkenntnis sondern um Leidenschaft. Andrea fragte den jungen Mann ganz unverblümt: "Und was ist deine Leidenschaft. Wofür lebst du?" Die lange Antwort liess den erfahrenen Künstler aufhorchen und bewog ihn später sogar dazu, das freundschaftliche Verhältnis abzubrechen - was natürlich auch Konsequenzen für die Liebschaft Giovanni Battistas mit Antonia haben sollte.
"Ich bin Architekt geworden, weil Vater mich in die Lehre des Mauro Condussi geschickt hat, wie du weisst. Vater dachte, das Handwerk würde mir gefallen, da ich doch ein Bellini und kein Contarini bin. Ich habe also fleissig meine Lehre beendet und bin dann durch Venedig gestreift, wie ein Rüde auf der Suche nach...aber dann kam Lucrezia, die Verführerin, in mein Leben und fast glaubte ich, es wäre Liebe. Doch in dem Moment, als ich Antonia, deine Tochter sah, war mir klar, dass mein Leben bislang eine Illusion war. Ich bin also zu euch gekommen, in der Hoffnung, endlich eine Leidenschaft zu spüren. Aber Antonia ist so rein - so das Gegenteil von Lucrezia, meine Wilde. Kann ich denn überhaupt so viel Verantwortung übernehmen, ja will ich dies überhaupt? Das sind Fragen, die mich seither beschäftigen. Ausserdem hoffte ich, bei dir maestro , etwas über Leidenschaft zu erfahren, ich wollte dir über die Schulter schauen, aber deine Werke
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