Das Musterbuch (German Edition)
Borgia verbildlicht hatte. "Und dann die Heraldik der Borgia: überall der Stier! Ich habe mir erzählen lassen, dass der Borgia glaubt, selbst von Osiris abzustammen. Daher also dieser Mythos in der Sala dei Santi. Aber auch die anderen Räume sind reich an Geschichten von Heiligenleben, Katharina, Sebastian und immer wieder sind Porträts von den grossen Feldherren Roms verewigt. Kein Wunder, dass unser Papst, der pontifex maximu s, sich als Cäsar der Gegenwart sieht. Und Alexander der Grosse hat seinem Namen als Anleihe gedient." Andrea hielt nicht viel von Fabelgeschichten; ihm war die Wirklichkeit wichtiger als der Traum und so konnte seine Kunst nur kraftvoll, real und nicht sinnlich aussehen. Und er wagte in diesem Moment des entspannten Gesprächs ein Frage an die Marchesa: „…da ist noch etwas, das ich Sie fragen wollte, Verehrteste. Woher hatten Sie die Skizzenblätter, die Sie mir einst gaben?
Isabella holte weit aus und zur Unterstützung ihrer Erzählung nahm sie ihren Arm zu Hilfe und zog das weit über die Schultern gefallene gelbgrün-changierende Seidentuch vor ihre Brust. „Verehrtester Meister Mantegna: Kunst bedeutet mir alles, das muss ich Ihnen wohl nicht weiter erläutern. Ich halte mich weissgott nicht für eine Heilige, doch sollen Sie wissen, dass ich für manch ein Kunstwerk alle mir verfügbaren Mittel einsetzte. Es war in Verona, in San Zeno, wo ich eines Tages Ihr Meisterwerk betrachten wollte. Es ist für mich ein heiliger Ort, den ich dann und wann aufsuche, um mit meinen Gedanken ins Reine zu kommen. Meine Gedanken beim Betrachten Ihrer grossartigen Bildteile muss ich wohl nicht weiter ausführen: nur eines: diese Engel spielen wirklich eine leise Melodie! Auf einmal kamen Laute aus der Sakristei und da ich im Kirchenschiff ganz allein vor Ihrem Altarwerk kniete, wurde ich aufmerksam. Zunächst war es nur ein leichtes Stöhnen und ich dachte schon, ich müsste jemanden retten. Also stand ich auf und wandte mich dorthin. Aus dem leichten Geräusch wurde nun ein intensives Hecheln, als würde man einen Hund imitieren. Dann sah ich sie: der Abt hatte seine Kutte hochgeschlagen und vergnügte sich mit einem jungen, sehr jungen Mann. Sein Kopf war gerötet und es durchzuckte ihn förmlich, als er mich in der Tür stehen sah. Ein Schrei und der Junge rannte einfach davon, ohne sich umzudrehen. Der Abt blieb natürlich, in dieser kompromitierenden Situation gab keinen Ausweg für ihn. Da bot er mir zum Stillschweigen diese Zeichnungen an, die er im Sakramentsschrank verwahrt hatte. Angeblich hatte der Junge ihm diese einst gebracht, in der Hoffnung auf eine lukrative Gegenleistung. Und ich nahm sie einfach mit mir, ohne seither je wieder nach San Zeno gereist zu sein.“ Mantegna schwieg. Was sollte er nach dieser Beichte sagen? Wieder eine Todsünde: die Wollust! Und vielleicht auch die Habgier? In diesem Moment beschloss er, die wertvollen Blätter nicht mehr als irdischen Besitz zu betrachten.
***
Mantegna war der Besuch aus Venedig sehr willkommen. Niccolò machte sich gut als Rahmen Schnitzer für viele seiner Werke. Ausserdem diente er dem Markgraf als Ratgeber für kunstvoll eingelegten Holzböden, Intarsienschränkchen und Spiegelrahmen. Es gab also genug für ihn am Hofe zu tun.
Dass Giovanni Battista mit angereist war, irriterte zunächst den Vater der über beide Ohren verliebten Tochter; doch als Begleiter seiner Streifzüge durch Mantua, beim Betrachten der Kirchen San Andrea und San Sebastiano, beides Kirchen vom berühmten Architekten Leon Battista Alberti, den Mantegna über alles verehrte, war er ihm mehr als sympathisch. Der junge Mann hatte eine enorme Sachkenntnis und äusserte sich unbeschwert über Fragen der Proportion und der Ästhetik von Bauwerken. Fast könnte man meinen, Mantegna habe einen Narren am Bellini-Sohn gefressen, wäre da nicht die alte Aversion gegen seinen Vater...
Zunächst hatten die beiden Venezianer noch keinen eigenen Unterschlupf gefunden, so dass sie bei Mantegna im grossen Palazzo residierten. Deshalb waren die Abende am Familientisch oft sehr lustig, vor allem, wenn der junge Bellini versuchte, der Tochter des Hauses zu imponieren: "...und wenn der Oheim Gentile versucht, beim calcio einen Ball zu erwischen, fällt er meist auf die Nase und einmal gar in den canale , weil die piazza hinter San Alvise nach dem Regen so rutschig war! Und nun stellt euch mal vor: ein alter Mann, der klitschnass das Ufer erreicht und dabei
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