Das Musterbuch (German Edition)
seiner Hand.
"Andrea, caro mio , ich danke dir, dass du in meiner letzten Stunde bei mir bist. Denn du bist mein wahrer Freund und du verstehst mich wie kein anderer in meinem Anliegen, Gottes Werk in der Kunst der Malerei widerzuspiegeln." Das Reden fiel ihm schwer und er legte immer wieder Pausen ein. " …in der Mappe auf meinem Tisch findest du viele Skizzen, mein Vermächtnis, das dir bei der Ausführung in der Ovetari-Kapelle helfen wird."- "Erinnerst du dich daran, dass ich dir sagte, ich wolle nichts Trauriges darstellen? …Nun, ich habe bereits meinen eigenen Tod vor Augen gehabt, diese Zeichnungen aber trotzdem ausgeführt, damit du beim Komponieren …nicht so leiden musst: denn jeder Federstrich will doch ... nachgelebt sein...." Mit diesen letzten Worten und einem liebevollen Blick schied Niccolò Pizzolo dahin und Andrea, der die rechte Hand seines Freundes hielt, legte ihm beide Hände wie im Gebet gefaltet auf den so schönen Körper. " Dormi bene , schlaf gut lieber Freund"; Andrea verliess den Palazzo mit Tränen in den Augen und schwor sich, das Erbe seines Freundes unmittelbar anzutreten und die Fresken in der Eremitani-Kirche nach dessen Entwürfen zu vollenden.
Nach einer traurigen und einsamen Woche zwischen Pigmentresten, angerührt noch vom Freund, und Zeichnungen mit enormer Dynamik zum Sterben des Märtyrers Christoph, sollte es für Andrea noch schlimmer kommen.
Kapitel VI
anno 1454
Gentile machte sich persönlich auf den Weg, um den Schwager vom tragischen Ende der Schwangerschaft seiner Frau Nicolosia zu berichten. Nicolosia hatte eine Frühgeburt, kurz nachdem ihr Gatte abgereist war, und sie hatte sich nur schlecht von diesem körperlich wie psychisch anstrengendem Ereignis erholt.
Gentile nahm seinen Schwager nach seinem ausführlichen Bericht in die Arme; dies war eine Geste, die ihm sein nahezu brüderliches Mitgefühl Ausdruck verleihen sollte. Überhaupt entwickelte sich fortan eine - wenn auch 'leise'- Freundschaft zwischen den Schwagern, die Giovanni und Andrea niemals eingehen sollten. Warum aber wurde er nicht unmittelbar, sondern erst nach drei Monaten vom Unglück seiner Frau in Kenntnis gesetzt?
Andrea nahm sein Pferd aus dem Stall und ritt im Galopp zu seiner Liebsten nach Venedig.
Die Überfahrt von Mestre nach Venedig war mühsam, denn viele Händler versperrten ihm an der Anlegestelle der Barken den Weg. Andrea vernahm den Gesprächsfetzen die Nachricht vom Treffen des Dogen Foscari mit dem Papst Nikolaus V. in Lodi wegen der Unterzeichnung des Friedens mit Francesco Sforza. Zur Konsolidierung sollen gar das Königshaus Neapel sowie die Republik Florenz vertreten gewesen sein und damit die fünf grössten italienischen Mächte!
Andrea wunderte sich ferner über die vielen Fremden, denen er auf der Serenissima begegnete: offenbar handelte es sich um griechische Gelehrte, die seit dem Fall von Konstantinopel im Jahr zuvor das Land verlassen hatten. Über die Konsequenzen dieser neuen kulturellen Einflüsse konnte sich der Künstler aus Padua jedoch in diesem Moment noch nicht ausmalen.
Bevor er zum Platz der Bragora zu seiner Frau ging, kehrte er kurz in die Kirche San Zaccaria zu Andacht ein. Dies war ihm schon ein geliebtes Ritual geworden, immer wenn er auf die Serenissima kam. Im stillen Gebet versunken kniete Andrea vor dem Altar in der Kapelle San Tarasio, die er wegen der wundervollen Ausmalung durch Francesco da Faenza und Andrea del Castagno so schätzte. Was für ein Gottvater, so realistisch, so klar gezeichnet und plastisch in seiner gesteigerten Körperlichkeit! Diesen Gott gab es wirklich und nur ihm wollte Andrea seine Wünsche für seine Frau offenbaren!
Leicht wurde Andrea an der Schulter berührt! "Jacopo, hast du mich erschreckt!" "Du musst dich nicht sorgen: Deine Fürbitten werden deiner schwachen Frau sicherlich helfen!", versuchte der Schwiegervater, der ebenfalls häufig in diese Kirche zur privaten Andacht kam, ihn zu beruhigen. "Aber warum habt ihr mich nicht direkt gerufen, als unser liebes Kind verloren ging?" bohrte Andrea, nicht ganz ohne den Zorn und Gram in seiner Stimme verbergen zu können. Zuviel hatte er auf dem Ritt hierher darüber nachgedacht, wie viel ihn doch von der Bellini-Familie trennte!
"Komm nach Hause, mein Lieber, und hilf Nicolosia, denn sie fühlt sich schuldig dir gegenüber. Dies ist der einzige Grund, weshalb wir dich nicht rufen konnten: der medico befürchtete einen zusätzlichen Schwächeanfalls, wenn
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