Das mysteriöse Pergament 01 - Begegnungen (German Edition)
eine
beruhigende Wirkung bei Durchfall und Magenverstimmung hatten. Da der Patient
an schmerzhaften Koliken zu leiden schien, befand sich auch Bilsenkraut darunter,
ein starkes Schmerzmittel mit berauschender Wirkung. Line hörte nur noch halb
hin, aber plötzlich horchte sie auf.
Gerade erklärte die Apothekerin der Magd die Anwendung der
Medizin für ihren Herrn und schärfte ihr ein, ihm je ein Drittel der Dosis zu
den Mahlzeiten zu geben, keinesfalls auf einmal. Das Mittel sollte für zehn
Tage reichen, bis dahin würden die Koliken nachlassen.
„Verzeihung“, mischte sich Line ein, die nicht mehr
stillsitzen konnte und aufstand.
„Ja?“, der Apotheker, der gerade die Kundin verabschiedete,
hob die Brauen und sah das junge Mädchen erstaunt an.
„Diese Dosis wird den Patienten umbringen“, platzte Line
heraus. Es ging sie zwar nichts an, aber sie musste es einfach sagen.
Die Frau des Apothekers stemmte die Hände in die Hüften,
warf einen zornigen Blick auf das junge Mädchen, das sich offenbar
wichtigmachen wollte und lief rot an vor Empörung.
„Das Bilsenkraut, Herr“, redete Line schnell weiter, bevor
die Frau hinter dem Ladentisch ihrer Entrüstung Luft machen konnte. „Eine Dosis
von zwei Unzen am Tag ist…“
„Was mischst du dich in Sachen ein, die dich nichts
angehen!“, keifte jetzt die Apothekerfrau los. „Was weißt du denn,
dummes Ding? Mach, dass du hinaus kommst, du vorlautes Weibsstück!“
Der Apotheker nahm die Wachstafel und brachte seine Gattin
mit einer Handbewegung zum Schweigen.
„Zehn Unzen Bilsenkraut in fünf Tagen? Das würde einen
Ochsen umbringen“, murmelte er vor sich hin, während er die Tafel anstarrte.
„Hier, schau her. Das soll sicher nicht Unzen heißen,
sondern Gran. Unser Medicus sollte sich dringend einer besseren Schrift
befleißigen. Hast du der Medizin tatsächlich zehn Unzen Bilsenkraut
beigemischt?“
Die Apothekerin war blass geworden und schlug die Hände vor
den Mund. Wenn ein Patient durch die Schuld des Apothekers starb, war das
äußerst fatal. Es konnte ihn sein Amt kosten.
„Ich glaube, wir sollten dem Mädel dankbar sein“, murmelte
der Apotheker und rief Line zurück, die schon zur Tür zurückgewichen war.
„Woher wusstest du, dass diese Dosis Bilsenkraut tödlich ist?“, wollte er
wissen.
„Ich habe bei einer Heilerin gearbeitet“, antwortete Line
ausweichend.
„Eine Kräuterfrau pflegt ihre Kräuter nicht in Unzen und
Gran zu wiegen“, entgegnete der Apotheker skeptisch.
„Sie war keine Kräuterfrau, sondern Apothekerin in einer
Klosterapotheke“, erklärte Line.
Der Apotheker hob erstaunt die Brauen.
Glücklicherweise ging in diesem Moment wieder die Tür auf,
so dass sie keine weiteren Erklärungen zu geben brauchte.
„Da bist du ja endlich, Grete“, rief der Apotheker erfreut.
Du hast Besuch, Deine Enkelin ist gekommen.“
„Was faselst du da?“, murmelte die alte Frau anstelle eines
Grußes und setzte ihre Kiepe ab, die voller Kräuter war. Ihr runzliges Gesicht
wurde von einer großen, etwas gekrümmten Nase dominiert, ihre wachen Augen
waren von unzähligen Fältchen umgeben.
Das war also die alte Grete, dachte Line. Jetzt konnte sie
nicht mehr zurück. Sie durfte keinen Fehler machen. Beherzt ging sie auf die
Alte zu. „Ich bin es“, rief sie bemüht fröhlich, „Line, ich soll dich von Tante
Irmhilde grüßen.“
Die Alte sah sie erstaunt an.
„Irmhilde“, murmelte sie. Ihre hellen, klugen Augen
musterten das schlanke Mädchen scharf, so dass Line am liebsten im Boden
versunken wäre.
Auch der Apotheker wurde jetzt misstrauisch. Stirn runzelnd
beobachtete er die Szene, während seine Blicke zwischen Line und der
Kräuterfrau hin und her wanderten.
Plötzlich lächelte die Alte und sie nickte Line zu. „Danke
für die Grüße.“
Sie ging auf Line zu und nahm sie bei den Händen. „Wir haben
uns lange nicht gesehen, Kindchen. Du bist groß geworden, du überragst mich ja
bereits um einen halben Kopf. Ich hätte dich beinahe nicht erkannt.“ Dabei lächelte
sie verschmitzt und viele kleine Fältchen bildeten sich um ihre Augen, die Line
aufmerksam musterten.
Line atmete auf. Ihr fiel ein Stein vom Herzen.
Jetzt lächelte auch der Apotheker. „Da kennen wir uns jetzt
schon so viele Jahre“, sagte er gespielt entrüstet zu Grete. „Und du hast mir
nie gesagt, was für eine hübsche Enkeltochter du hast.“
Dabei zwinkerte er Line zu, die verlegen den Blick senkte.
„Ein
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