Das mysteriöse Pergament 03 - Heimkehr (German Edition)
tiefen Knicks.
Der Prior segnete sie und überließ sie der Obhut des jungen
Laienbruders, der die Speise serviert hatte.
Die Zisterzienser hatten eine sehr praktische
Arbeitsteilung. Während die Laienbrüder überwiegend die körperlichen Arbeiten
verrichteten, widmeten sich die Chormönche vornehmlich dem Gebet und den
Studien der Wissenschaften. Sie waren es auch, die Bücher kopierten und durch
ihren Verkauf den Reichtum des Klosters mehrten, während die Laienbrüder, die
auch keine Stimme im Kapitel hatten, für die leiblichen Belange sorgten,
überwiegend durch Feldarbeit und Fischen. Das Kloster unterhielt sogar einige
Teiche, in denen die Mönche Karpfen züchteten, die sie größtenteils im Umland
verkauften.
Zwar trieb die Kirche auch hier wie überall den Zehnten der
Bauern ein, aber wegen der dünnen Besiedelung des Landes mussten sich die
Bewohner des Klosters überwiegend selbst versorgen.
Nach der Vesper begaben sich die Mönche ins Refektorium, um
ihr Abendessen einzunehmen.
Die Klosterkirche war jetzt menschenleer. Line ging hinein
und kniete vor dem Altar nieder. Es war ein prächtiger Flügelaltar, mit
vergoldeten Figuren, die im Gegensatz zu den meisten geschnitzten Figuren in
anderen Kirchen sehr gut ausgearbeitet waren.
Auf der rechten Flügeltür des Altars erkannte Line die
abgebildeten Apostel an ihren typischen Utensilien. Da war Jacobus mit dem
Bischofsstab, Bartolomäus mit dem Schindmesser, Phillipus mit Buch und Stab,
Simon trug eine Säge, Matthias ein Beil, Thomas das Winkelmaß und Johannes
erkannte sie an der Schriftrolle. Auch die anderen sechs Apostel auf der linken
Flügeltür trugen deutlich die Zeichen ihrer Zünfte, dessen Schutzpatron sie
waren. Alle Figuren waren wie der gesamte Altar vergoldet.
Tränen liefen Line über die Wangen, als sie Gott und alle
Apostel einzeln anflehte, ihren Liebsten im Himmel aufzunehmen. Es hieß, einem
Kreuzfahrer bliebe das Fegefeuer erspart, alle Sünden wären ihm vergeben und er
käme sofort in den Himmel.
Wenn sie in einer Kirche war, fühlte Line sich immer seltsam
geborgen. Das lag vielleicht daran, dass sie hier alles an ihre Kindheit
erinnerte. Sie war damals sicher und behütet gewesen, sie hatte immer genug zu
Essen, konnte stundenlang lesen und bei der Krankenpflege helfen. Nicht dass
sie sich nach diesem streng geregelten, eintönigen Leben zurücksehnte. Aber
manchmal erinnerte sie sich gern daran, besonders an die gütige Schwester
Irmhilde, von der sie so viel gelernt hatte und deren Tod diesen Abschnitt
ihres Lebens so jäh beendet hatte.
Seitdem waren erst wenige Jahre vergangen, aber es kam ihr
wie eine Ewigkeit vor. Sie hatte das weltliche Leben kennen gelernt, hatte
zusammen mit Grete Gebärenden und Kranken geholfen und dabei viel Elend
gesehen, sie hatte ihre große Liebe gefunden und wieder verloren.
Viele Menschen kamen ihr ganzes Leben nicht viel weiter als
bis in das Nachbardorf oder zum Markt der nächstgrößeren Stadt. Sie hingegen
war schon viele Meilen gereist, hatte mehrere Städte gesehen und war doch
niemals angekommen.
Fast geräuschlos hatte sich der Prior zu ihr gesellt. Er
kniete kurz nieder, schlug das Kreuz und erhob sich wieder.
„Du solltest jetzt schlafen gehen, Tochter“, sagte er ruhig.
„Du wirst darüber hinweg kommen, du musst nach vorne schauen. In der Stadt
wirst du ein neues Leben finden.“
Ungelenk stand sie auf, die Knie taten ihr weh. Sie bedankte
sich bei dem warmherzigen Mönch und verließ mit ihm zusammen die Kirche, um die
ihr zugewiesene Kammer aufzusuchen.
Die Gästekammer war spartanisch eingerichtet, aber das Laken
auf der schlichten Bettstatt war sauber, ebenso wie die wollene Decke. Auf der
Anrichte standen ein tönerner Krug mit Wasser und eine Schale zum Waschen,
daneben lagen ordentlich gefaltet saubere Tücher. Durch die fast geschlossenen
Fensterläden drang nur ein schmaler Streifen Licht.
Line warf sich auf das Bett und weinte bitterlich. Als sie
sich wieder etwas beruhigt hatte, stand ihr Entschluss fest. Sie wollte Conrad
rächen und diesen Ritter Arnulf zur Strecke bringen, und wenn sie ihr Leben
dafür geben müsste. Dieses war ihr ohnehin nicht mehr viel wert.
Sie zog ihr Kleid aus, legte sich hin und zog die Decke über
sich. Line war so erschöpft, dass sie trotz ihrer Schmerzen und der wirren
Gedanken sofort einschlief.
IV
Spurlos
Brachetmond Anno
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