Das mysteriöse Pergament 03 - Heimkehr (German Edition)
ihren Bruder bedeckt hatte,
um die grässlichen Wunden zu verbergen. Auf seiner Brust lag das bei seiner
Leiche gefundene Familienschwert, auf seinen Beinen ein schwerer Wappenschild
mit dem Familienwappen derer von der Lühe.
Ihr geliebter Bruder war tot und ihr Vater nur noch eine
lebende Hülle. Jetzt war sie allein. Das Schicksal war grausam. Zuerst gab es
ihr ihren Bruder zurück, um ihn ihr dann wieder zu nehmen.
Seit Jahren hatte es in dieser Gegend keine Überfälle mehr
gegeben. Vielleicht war wieder eine Horde der gefürchteten wendischen Slawen
eingefallen und ihr Bruder war mit Line zum falschen Zeitpunkt am falschen Ort
gewesen.
Wer sonst würde es wagen, einen Ritter anzugreifen? Außerdem
hatte man auch die Leichen von Arnulfs Männern gefunden, die wohl versucht
hatten, ihm zu Hilfe zu eilen und dabei ebenfalls den Tod fanden. Gewöhnliche
Wegelagerer konnten das auf keinen Fall gewesen sein.
Merkwürdig war nur, dass es keine Berichte über weitere
Überfälle oder geplünderte Dörfer gab. Aber darüber dachte Constance in ihrer
Trauer und Verzweiflung nicht lange nach. Sie dachte an ihren Vater, der in
einer der oberen Kammern des Bergfrieds vor sich hin vegetierte.
Er war erschreckend abgemagert und seine Gesichtszüge waren
eingefallen. Jedes Mal versetzte es ihr einen Stich, wenn Constance ihren Vater
so sah. Oft setzte sie sich neben ihn und erzählte ihm etwas. Manchmal hatte
sie das Gefühl, er könne sie verstehen, wenn er sich auch nicht mitteilen
konnte. Manchmal bildete sie sich sogar ein, ein leises Lächeln gesehen zu
haben. Aber viel mehr als die Augenlider konnte er nicht mehr bewegen. Seine
Augen jedoch folgten ihr, wenn sie die Kammer betrat und manchmal glaubte sie,
ein Aufblitzen in ihnen zu sehen.
Ihre Gedanken wanderten zu Hannes. Immer öfter musste sie an
ihren Jugendfreund denken. Sein offenes, ehrliches Gesicht und sein warmes
Lächeln begegneten ihr noch immer in ihren Träumen. Sie gestand sich ein, dass
er ihr längst nicht so gleichgültig war, wie sie gegenüber Conrad vorgegeben
hatte.
Unvernünftiger Weise fühlte sie sich noch heute an ihr
kindliches Versprechen gebunden, den sie sich vor vielen Jahren gaben. Fast kam
sie sich wie eine Verräterin vor, weil sie einen anderen geheiratet hatte. Ob
er auch noch manchmal an sie dachte?
Wahrscheinlich war sie ihm längst gleichgültig geworden,
denn er war nicht einmal zu ihrer Hochzeit erschienen, obwohl Arnulf ihr
versicherte, die Uritzer eingeladen zu haben.
Trotzdem hoffte sie, ihn wenigstens auf der Beerdigung
Conrads wieder zu sehen. Dieses Mal hatte sie die Einladungen persönlich an
alle wichtigen Familien der näheren Umgebung verschickt, auch nach Roggow an
den Hof der Uritzer. Albrecht von Uritz war schließlich ein Kampfgefährte ihres
Vaters und sein Sohn der beste Freund ihres Bruders gewesen – und in früheren
Tagen auch ihrer – dachte sie wehmütig.
Bis heute konnte sie einfach nicht verstehen, warum ihr
Vater sie nicht Hannes, sondern diesem Nienkerkener versprochen hatte. Aber das
sagte sie niemals, wenn sie bei ihrem Vater saß. Sie wollte ihm keine Vorwürfe
machen. Auch erwähnte sie nie, wie unglücklich sie mit ihrem gefühlskalten
Ehemann war.
Allerdings musste sie zugeben, dass Arnulf sich ihr gegenüber
immer anständig verhielt und sie auf seine Art sogar zu lieben schien, soweit
er dazu in der Lage war. Selbst im Ehebett wurde er nur selten grob. Sie hatte
jedoch oft das Gefühl, er würde nur eine eher lästige Pflicht erfüllen, wenn er
ihr beiwohnte. Schließlich erwartete man von ihm, einen Erben zu zeugen.
Constance vermutete, Arnulf holte sich seine Befriedigung
bei anderen Frauen. Aber immerhin war er so rücksichtsvoll, dies außerhalb des
Gutes zu tun. Ihr war es egal, solange das Gesinde nicht darüber tuschelte. Es
war ihr nur recht, wenn er sie nicht so oft aufsuchte, um ihre eheliche Pflicht
einzufordern.
Arnulf war sehr verschlossen und weihte sie niemals in seine
Pläne ein und wenn er ausritt, wusste sie nie, wo er war und wann er zurückkam.
Er hatte etwas Verschlagenes an sich, dass ihr Angst machte. Sie durfte den
Haushalt führen, das war alles. Als Frau konnte sie allerdings auch nicht mehr
erwarten. Immerhin ließ er ihr Freiräume. Sie konnte ausreiten, wann sie
wollte, wenn auch natürlich nicht ohne Begleitung. Wenn sie jemanden besuchen
wollte, erlaubte er es ihr in aller Regel, wie auch bei dem Besuch ihrer Base
in Breuberg, wo sie sich immerhin
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