Das mysteriöse Pergament 03 - Heimkehr (German Edition)
mehrere Monde aufgehalten und das
Weihnachtsfest verbracht hatte.
Auch hatte er es ihr allein überlassen, wen sie zur
Beerdigung einladen wollte. Gern hätte sie darauf verzichtet, Arnulfs Vater und
Vettern einzuladen, aber das ging natürlich nicht.
Immer wieder sah sie zu Conrads Händen, die das
Familienschwert umklammerten. Es war das Einzige, was sie von ihm sehen konnte,
denn er trug eine komplette Rüstung und sein zerschlagenes Gesicht war von
einem Tuch bedeckt.
Irgendetwas irritierte sie, denn sie hatte Conrads Hände
schmaler in Erinnerung und nicht so stark behaart.
In den Jahren ihrer Trennung hatte er sich allerdings sehr
verändert. Sein Kreuz war breiter geworden, sein Gesicht kantiger. Sie
versuchte, sich an seine Hände zu erinnern, aber es gelang ihr nicht.
Einer plötzlichen Eingebung folgend, ging sie zum Kopfende
der Bahre und hob ein wenig das Laken an. Sie musste würgen, als sie ihm ins
Gesicht sah. Man hatte es zwar von Blut und Schmutz gesäubert, aber es war so
zertrümmert, dass man die Gesichtszüge im trüben Fackellicht unmöglich erkennen
konnte. Die lockigen Haare schienen ihr dunkler zu sein, aber das konnte auch
am Licht liegen.
In diesem Moment kam Anna herein und Constance ließ das
Laken wieder auf das Gesicht des Leichnams fallen. Ihre Zofe meldete die
Ankunft der Familie von Bassewitz, einer der einflussreichsten Familien aus der
Umgebung.
Constance musste als Hausherrin die lästige Pflicht
erfüllen, die zur Beerdigung geladenen Gäste zu empfangen. Sie seufzte und
folgte Anna die ausgetretene Steintreppe der kleinen Kapelle hinauf, die direkt
in den Hof führte.
Langsam wurde es eng auf dem Rittergut und vor allem im
Wohnturm, der für so viele Gäste nicht ausgelegt war.
Ritter Albrecht von Bassewitz war eine stattliche
Erscheinung. Auf seinem Wappenrock prangte sein Wappen mit dem schwarzen Eber.
Er klang ehrlich erschüttert, als er Constances Hände ergriff und ihr sein
Beileid bekundete. Constance rang sich ein Lächeln ab und begrüßte ihn, wie es
üblich war. Nach ihm hieß sie auch seine Gattin und seine Tochter willkommen.
Vorgestern war Arnulfs Vater eingetroffen, zusammen mit den
beiden Söhnen seiner Schwester und seiner Geliebten, die er sich neuerdings
hielt. Bernhard von Nienkerken war ihr nicht ganz geheuer. Wenn seine
stechenden Augen sie ansahen, senkte sie meistens den Blick, denn sie hatte
immer das Gefühl, er wolle in ihr Innerstes eindringen. Das dralle Weib an
seiner Seite hatte einen prallen Busen und ein beachtliches Gesäß, aber ihr
Wortschatz war ebenso begrenzt wie ihr Horizont. Es war unmöglich, sich mit ihr
zu unterhalten. Trotzdem oder vielleicht gerade deshalb trat sie auf wie eine
Fürstin und tyrannisierte das Gesinde. Mit ihrer gespielten Anteilnahme ging
sie Constance mächtig auf die Nerven. Deshalb ging sie ihr so oft es ging aus
dem Weg, ebenso wie dem Rest der Familie, besonders Arnulfs Vater.
Arnulfs Vettern schienen eher harmloser Natur zu sein. Sie
sahen sich sehr ähnlich und waren ziemlich beschränkt. Sie folgten Arnulfs
Vater wie zwei Schatten und taten stets, was er ihnen sagte.
Constance gegenüber verhielten sie sich höflich, aber
distanziert.
Es war bereits Nachmittag, als Constance wie so oft über die
enge Wendeltreppe auf den Bergfried hinaufgestiegen war und von einem der Erker
im Turm auf das weite Land hinaus schaute. Das hat sie schon als Kind gern
getan, oft zusammen mit Conrad. Von hier oben konnte man meilenweit sehen, bei
schönem Wetter bis zum Meer. Hier hatten sie geplaudert, geträumt und Pläne für
die Zukunft geschmiedet. Conrad wollte immer auf das Meer hinaus fahren. Oft
war er zum Strand geritten und hatte mit den Fischerjungen gespielt. Stolz
hatte er ihr davon erzählt, wenn er mit den Fischerbooten hatte mitfahren
dürfen.
Sie selbst hatte ein wenig Angst vor dem Meer, seit sie als
kleines Kind einmal beim Schwimmen abgetrieben und nur durch das schnelle
Eingreifen eines Fischers gerettet worden war.
Alles war wie an jenem Tag, an dem sie das letzte Mal mit
Conrad hier oben stand. Das war vor mehr als drei Jahren, bevor er zusammen mit
ihrem Vater zur Schlacht gegen die Dänen aufgebrochen war. Auch heute schien
die Sonne, die Wiesen blühten und die Vögel sangen. Und doch war nichts mehr so
wie damals. Conrads kalter Leichnam lag unten in der Kapelle, ihr Vater war
nicht ansprechbar und sie war mit einem Mann verheiratet, den sie nicht liebte.
Sie dachte an Line. Sie hatte
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