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Das Mysterium der Zeit

Titel: Das Mysterium der Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Francesco Rita & Sorti Monaldi , Sorti
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Statthalter rüde zum Schweigen, »lass die anderen reden, sonst schneide ich dir eines Tages die Kehle durch.«
    |236| »Was hat denn die Gleichheit damit zu tun!«, erboste sich Guyetus, ohne auf die beiden Korsaren zu achten. Vor Erregung fegte er mit einer unbedachten Bewegung die neben sich aufgehäuften, abgenagten Katzenknochen vom Tisch.
    »Und was ist von den anderen Gesetzen Lykurgs zu halten?«, bemerkte Hardouin mit eiserner Ruhe. »Zum Beispiel jenem, nach dem Mädchen und Jungen sich öffentlich im Wettlauf, Ringkampf und Weitwurf ertüchtigen mussten, um den Körper zu stählen und die Geburtsschmerzen besser zu ertragen, doch stets alle unbekleidet? Oder die Pflicht, das Stehlen zu üben, um an Schläue und Geschicklichkeit zu gewinnen?« Die ungerührt vorgetragenen Gedanken des bretonischen Buchhändlers ließen sogar den groben Kemal schallend lachen, nachdem er bis jetzt geschwiegen hatte, eingeschüchtert vom Wissen unserer vier Literaten.
    »Wo hast du diese brillanten Argumente ausgegraben?«, fragte Guyetus sarkastisch.
    »Aus Büchern natürlich. Ich bin Buchhändler«, antwortete Hardouin seelenruhig.
    »Ihr Buchhändler solltet nicht so viel lesen.«
    Guyetus’ bissige Bemerkung offenbarte das tiefe Unbehagen des alten, angesehenen Philologen, der wohl erst jetzt erkannte, dass sein Reisegefährte sich keineswegs fürchtete, ihm zu widersprechen.
    Barbello holte wieder zum Angriff aus: »Ich sage: Ist es möglich, dass Plutarch niemals die Feder vom Blatt gehoben und ein wenig an dem gezweifelt hat, was er da schrieb?« Der junge Kastrat klopfte mit seinem Glas, in Wirklichkeit eine der alten Tassen, die wir im Lagerraum gefunden hatten, auf den Tisch, um zu bedeuten, dass er noch mehr Wein wollte.
    Hardouin lachte unter seinem Schnurrbart. Durch seinen beruflichen Umgang mit Büchern war er mit dem Wissen der Antiken genauso vertraut wie die anderen Gelehrten, doch ließ er sich weniger davon beeindrucken.
    »Wenn die Gesetze des Lykurg so streng waren, warum wurden die Kinder dann zum Stehlen gezwungen?«, schloss sich Naudé vorsichtig an, weil er nicht verlacht werden wollte. »Gab es keine bessere Methode, ihre Geschicklichkeit zu erproben? Kräftige junge Männer, hört gut zu, waren per Gesetz verpflichtet, das aufgestapelte Feuerholz aus den Gärten der Bürger zu stehlen, die schwächeren Jungen mussten |237| dagegen Gemüse von den gedeckten Tischen stibitzen. Wäre es nicht logischer gewesen, diese Jungen, wenn sie schon unbedingt stehlen mussten, Holz aus den Wäldern und Gemüse aus den Gärten entwenden zu lassen? Zumal ein anderes Gesetz von Lykurg vorschrieb, dass sie nur ein einfaches Gewand tragen durften – wo sollten sie die Holzscheite oder das Gemüse verstecken? Plutarch führt sogar eine Geschichte an, nach der ein Junge einen kleinen Fuchs geraubt und unter seinem Gewand versteckt hatte. Das Tier verbiss sich in seinen Bauch, und weil er auf keinen Fall entdeckt werden wollte, starb der Junge auf entsetzliche Weise.«
    »Die Antiken waren vornehm, die Römer waren die besten und die Spartaner noch hervorragender, jaja!«, spottete Pasqualini.
    »Tja, und die Menschen sind heutzutage viel zu leichtgläubig«, spitzte Barbello den Gedanken zu. Das war taktlos, denn unsere gelehrten Reisegefährten glaubten den Antiken ja schon ein ganzes Leben lang.
    »Und warum mussten sie Gemüse von gedeckten Tischen stehlen? Wollte Lykurg es schon gekocht haben?« Malagigi krümmte sich vor Lachen.
    »Findet Ihr ein solches Leben schön?«, fragte Barbello.
    »Schön ist, was gefällt«, tönte Guyetus.
    »Wie hässlich es auch sein mag«, schloss Malagigi.
    »Habt Ihr das mit dem Arbeitsverbot vergessen?«, fuhr Hardouin, mühsam ein Lachen unterdrückend, an seine gelehrten Kollegen gewandt, fort. »Davon berichtet nicht nur Plutarch, sondern auch Aelianus: Lykurg zwang alle, im größtmöglichen Müßiggang zu leben. Und was taten sie, wenn ein Schneider oder ein Schuster gebraucht wurde? Und ich frage weiter: War es auch verboten, Münzen zu prägen? Bekanntlich hatte Lykurg Gold und Silber verboten und stattdessen Münzen aus Eisen eingeführt, die übrigens sehr schwer und unhandlich waren, ja, wenn man eine stattliche Summe bei sich tragen wollte, berichtet Plutarch, brauchte man für all das Eisen einen Karren und zwei Ochsen. Ich frage noch einmal: Wer prägte diese Münzen?«
    »Und wie brachte man sie zum Markt, um einzukaufen, wenn sie so schwer waren? Was gab es als

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