Das Mysterium der Zeit
nicht einmal den Lehrer sehen durften, welcher nachts unterrichtete. Nach bestandener Prüfung aber wurden sie sogar in sein Haus geladen.
Nun gut, lassen wir das mit dem niemals den Lehrer sehen und den nächtlichen Unterricht des Pythagoras durchgehen, obwohl es immer noch gewaltig nach Betrug stinkt. Aber fünf Jahre lang in einer Schule lernen und niemals Fragen stellen, nicht reden, über nichts disputieren?hält das für eine ausgemachte GOTTESLÄSTERUNG.
Nach Plinius und Valerius Maximus starb Anakreon an dem Saft einer Rosine, und der Senator Fabius erstickte an einem Haar in der Milch. Plinius redet in einer Weise, die wenig oder gar nichts mit den alten Römern zu tun hat, welche den wahren Gott nicht kannten. Denn er betrachtet den Fall wie ein Christ, indem er besonders auf die banalen Gründe eingeht, die zum Tod führen können, weshalb sie den menschlichen Hochmut erniedrigen und beleidigen. Freilich führen diese römischen Historiker zwei, gelinde gesagt, sonderbare Fälle als Beispiele an und stellen sie in der gewohnten Weise antiker Autoren vor, nämlich mit sehr wenigen Worten, als wären es Sachen, die so leicht passieren können, dass es übertrieben wäre, sie lang zu erklären oder wenigstens ein paar nähere Umstände zu schildern, um jeden Zweifel an ihrer Wahrheit auszuräumen. Kann man aber an einer Rosine sterben? Also nimmteine getrocknete Traube, und als er sieht, wie winzig sie ist, begreift er nicht und wird nie begreifen, wie man daran sterben kann. Valerius Maximus wiederum präzisiert, dass es nicht die Rosine war, die Anakreon tötete, sondern ihr Saft … Bitte, wie kann Saft aus einer Rosine austreten, der einen Menschen tötet? Wernicht beipflichtet, dass dies eine GOTTESLÄSTERUNG ist, möge es selbst ausprobieren. Und was ist von der Geschichte von Fabius zu halten, dem römischen Senator und Prätor, der an einem Haar in einem Glas Milch erstickte? Welches Haar vermöchte so zu würgen, dass man daran stirbt? Und was für eine Art Haar war das? Ein Haar seines Bartes? Ein Haar von seinem Kopf? Von der Ziege? Von der Frau, die sie melkte? In unseren Landen ist Milch weiß und Haare sind zumeist schwarz. Warum sah er es nicht in der Milch schwimmen? Trank er sie vielleicht aus einer Flasche? Und wenn es zuvor nicht gesehen ward, wie konnte man es hinterher sehen? Welcher Hippokrates oder Galenus schloss, dass ein Haar die Ursache dieses Ablebens war? Selbst wenn sie den Leichnam öffneten, wer hätte so scharfe Augen gehabt, dieses Haar zu finden? Was |301| mich, ΄Oǫɛοτήϛ, betrifft, so lasse ich kein gutes Haar an dieser schönen Geschichte und nenne sie eine GOTTESLÄSTERUNG.
Wenn die antiken Historiker ihren Lesern je Anlass gegeben haben, an ihrer Glaubwürdigkeit zu zweifeln, dann war es in ihren Berichten von Schlachten, wie jener zwischen Römern und Barbaren, die Strabo beschreibt. Von den Letzteren starben zehntausend, auf römischer Seite nur zwei. Ein anderes Mal fielen beim Kampf der Römer gegen Antiochus, den König von Syrien, 24 römische Reiter und 300 Fußsoldaten im Feld, auf der Gegenseite jedoch 50 000 Reiter. Als Marcus Valerius gegen die Sabiner kämpfte, tötete er deren 13 000 und verlor keinen einzigen Mann. Marius tötete 120 000 Kimbern und machte 70 Gefangene, und als er ein anderes Mal 20 000 abschlachtete und 800 gefangen nahm, verlor er selbst nur 23 Mann. Beim Kampf zwischen Mithridates und Sulla verlor der König 10 000, Sulla dagegen nur 14 Mann. Und Lucullus siegte über Tigranes, indem er fast seine gesamte Kavallerie und über 10 000 Fußsoldaten tötete, selbst jedoch nur fünf gefallene Römer und hundert Gefangene zu beklagen hatte. Diese Märchen über die Römer werden, was Tapferkeit und wundersame Kühnheit betrifft, nur von den Märchen über die Spartaner übertroffen. Diodorus Siculus schreibt, dass die Spartaner im Kampf gegen die Arkadier 10 000 Männer töteten, ohne einen einzigen Verlust zu erleiden. Justin schreibt vom Sieg Alexanders über Darios, dass auf Seiten des Perserkönigs 70 000 Fußsoldaten und 10 000 Berittene starben, Alexander der Makedonier hingegen nur 130 Fußsoldaten und 150 Reiter verlor. Das bedeutet, dass zwei Männer von Alexander jeweils tausend Soldaten des Darios besiegten.
Nach Seneca, Plutarch, Lucius Floros und Valerius Maximus ließ Mucius Scaevola freiwillig seine Hand verbrennen. Das geht nun wirklich zu weit. Ausgerechnet diese für ein Hirngespinst zu halten, die schönste,
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