Das Mysterium der Zeit
würdigste, berühmteste Tat der alten Römer, die je beschrieben wurde: dass Mucius seine Hand verbrennen ließ, weil er sich dafür bestrafen wollte, dass er irrtümlich einen anderen als den Etruskerkönig Porsenna, der Rom belagerte, getötet hatte. Das geht zu weit, leugnen zu wollen, was viele, nein, alle! weisen Schriftsteller aufschrieben und die gesamte Antike für wahr |302| hielt, ohne dass bis heute der geringste Zweifel erhoben wurde. Zu weit, mag sein, aber es geht auch zu weit, was man uns hier weismachen will. Dionysios von Halikarnassos erzählt, dass Mucius, als er das feindliche Lager betrat, einen schönen, in Purpur gekleideten Mann sah, der umringt von vielen bewaffneten Männern im Tribunal saß, wo er Befehle gab und den Soldaten ihren Sold auszahlte. Und da er den König nie zuvor gesehen hatte, glaubte er, dieser Mann sei es, während es nur der Secretarius des Königs war. Mucius war nicht gerade aufmerksam, er hätte wissen müssen, dass Könige Obliegenheiten, wie Soldaten auszahlen, nicht persönlich erledigen. Plutarch dagegen berichtet, dass Porsenna umgeben von den Seinen auf dem Königsthron saß, worauf Mucius, der den König nicht kannte, einen seiner Männer tötete, statt den König selbst. Valerius Maximus wiederum schreibt, dass Porsenna ein Opfer auf dem Altar darbrachte. Wie es auch sei, als Mucius vor den König gebracht wurde, forderte dieser ihn auf, zu gestehen, was ihn zu einem so großen Verbrechen bewogen hatte. Statt zu erbleichen (denn die Römer kannten ja keine Furcht!), erklärte Mucius, weitere 300 Römer hätten sich im ganzen Lager versteckt (Welch eine Schande für einen Römer, zu lügen!). König Porsenna erschrak sehr (er war ja schließlich kein Römer), verdoppelte seine Leibwache und befahl, Mucius ins Gefängnis zu werfen. Dieser aber blickte dem König kalt und unerschrocken ins Auge, wie Plutarch berichtet, und legte seine rechte Hand in das Kohlebecken, um sie dafür zu bestrafen, dass sie den Falschen getötet hatte. Porsenna staunte nicht schlecht und befahl, ihn freizulassen. Daher wurde Mucius, nachdem er mit dem qualmenden Stumpf zu seinen Leuten zurückgekehrt war, als wenn nichts wäre, fortan Scaevola genannt, das heißt Linkshänder. Soweit die Geschichte, oder vielmehr das Märchen. Und nun bitte ich um einen Gefallen, ich möchte von jemandem wissen, ob es wahr ist oder ob ich mir nur einbilde, dass man einem Mörder und jemandem, der des versuchten Königsmordes beschuldigt wird, – wenigstens! – die Hände fesselt und ihn mit vielen Soldaten umgibt, bevor man ihn vor den König führt. Am allerwenigsten sollte man ihn mit freien Händen neben einem Kohlebecken stehen lassen … Außerdem sterben Menschen manchmal schon, wenn ihnen ein einziger Finger durch das Eisen oder Feuer verletzt wird, wie wir bei den öffentlichen Hinrichtungen der Diebe sehen, denen der Henker einen Finger oder die Hand abschneidet und dann ich weiß nicht welche Arznei darauf tut, damit die Menschen nicht sofort ohnmächtig werden, sondern noch zur vorbestimmten Stätte ihres Todes geführt werden können.
Wie oft kommt Seneca auf das Ammenmärchen von Mucius Scaevola zurück! Es ähnelt dem Unsinn, den man bei Valerius Maximus liest, dem zufolge ein Page von Alexander dem Großen sich lieber den Arm durch glühende Kohle verbrennen ließ, die vom Weihrauchfass auf ihn herabgefallen war, als die Opferungszeremonie Alexanders zu stören. Abgesehen davon, dass aus einem Weihrauchfass nichts auf einen Arm herunterfallen kann, ich hab’s selber ausprobiert, warum hat es niemand bemerkt? Der Gestank versengten Fleisches verbreitet sich sofort überall und ist unerträglich. Welche Art Opfer brachte Alexander dar, einen Lammbraten? Denn das ist der einzige Gestank, der alle anderen überlagert. Valerius Maximus schließt dann mit einer Galanterie ganz nach seiner Art, nämlich dass der Page
infimam aetatem
gewesen sei, also ein Milchbübchen! GOTTESLÄSTERUNG.
Nach Claudianus schuf Archimedes eine Glaskugel mit den Bewegungen aller Himmelskörper. Schon in der Wiege hörtedas Loblied auf Archimedes als Mann der Mathematik und erhabenes, geradezu göttliches Ingenium. Und das bewies er während der Belagerung seiner Heimatstadt Syrakus durch Marcellus, den großen römischen Feldherrn. Damals wurde Archimedes’ Name unsterblich. Denn mit Hilfe seiner überaus kunstreichen Maschinen und wunderbaren Instrumente ließ er Marcellus an der Erstürmung der Stadt
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