Das Mysterium der Zeit
»Ich habe die Gutenbergbibel. Sie ist von unschätzbarem Wert! Kardinal Mazarin täte alles, um sie zu bekommen!«, wagte Naudé einen Versuch, wohlweislich verschweigend, dass es sich um eine Kopie handelte.
»Wir haben nur ein altes, kostbares Buch, das dem König von Frankreich gehört!«, fasste Kemal den Sachverhalt für die Bootsmannschaft grob zusammen.
»Haha! Vielen Dank, aber im Moment wackelt keiner von den Stühlen an Bord, und die Mannschaft benimmt sich anständig!«, spottete der Weißbärtige. Er spielte auf die beiden einzigen Verwendungsweisen an, die Seefahrer Büchern zugestehen: Entweder stützt man damit wackelige Möbel oder man rührt mit Hilfe von Meerwasser aus den Seiten einen ekelhaften Brei, den aufrührerische Ruderer zur Strafe schlucken müssen.
Mit diesen Worten und ohne unsere Reaktion abzuwarten oder uns noch eines Blickes zu würdigen, ruderten die Matrosen auf dem Beiboot unter Scherzen und Gelächter wieder zur Schebecke zurück.
»Räuber!«, protestierte ich, nach überstandenem Unwohlsein mein Kinn mit dem Jackenärmel säubernd. »Sie wollten unser Unglück ausnutzen! Außerdem habe ich nur einen verdorbenen Magen, keine Pestbeulen!«
»Auf See zählen solche Feinheiten nicht«, sagte Kemal, »und bei einem Verdacht auf ansteckende Krankheiten unter den Passagieren kann einem Handelsschiff sogar der Zugang zum Hafen verwehrt werden, dann muss es die Quarantäne abwarten. Die Waren verderben, die Geschäfte mit den Händlern am Ort platzen. Lässt der Kapitän heimlich kranke Passagiere von Bord gehen, muss er eine gesalzene Strafe zahlen und darf für lange Zeit nicht mehr in diesem Hafen ankern. Das ist verlorenes Geld, lieber Secretarius, und ohne Geld gibt es keine Seefahrt.«
Nach diesen Worten gab der Korsar mir die Mütze zurück, die ich ihm zur Verkleidung geliehen hatte. Der freundliche Hieb auf den Rücken, den er mir versetzte, brach mir fast sämtliche Knochen, aber als körperlich fühlbarer Kommentar fasste er die gesammelte Wut der Gruppe gut zusammen.
Eine mühselige und traurige Rückkehr auf den Gipfel der Klippe erwartete uns. Wir hatten eine Gelegenheit versäumt, unsere Gefangenschaft auf dieser Insel rasch zu beenden, und wussten noch immer |315| nicht, ob sie eine Stadt oder einen Hafen besaß, der diesen Namen verdiente. Nicht einmal die Matrosen der Schebecke hatten wir danach fragen können, da sie uns so schnell unserem Schicksal überlassen hatten.
Es würde eine gute halbe Stunde dauern, um zu unserem Ausgangspunkt zurückzukehren. Während wir langsam auf dem steilen Pfad zwischen den Felsen emporkletterten, spürte ich die zornigen Blicke der Gesellschaft im Rücken wie Dolche, die mir bis in die Knochen fuhren. Ach, hätte ich diese Magenverstimmung doch fünf Minuten früher gehabt und nicht erst, als wir von der Mannschaft der Schebecke verhört wurden, dann wären wir jetzt schon an Bord des Livorneser Schiffs auf der Fahrt zum Festland. Schimpf und Schande über diesen armen Secretarius! Doch ich beklagte mich nicht und schlug mir auch nicht an die Brust. Es gehört zu den Pflichten des Secretarius, Unerschütterlichkeit und Würde zu bewahren, wenn diese auch seinen Herrn auszeichnen sollen.
DIALOG
Darin während einer Diskussion über den Seekrieg und seine Ursachen über Verrat gesprochen wird: insonderheit darüber, welche Völker ihn gerne begehen, warum die Italiener darin Meister sind und wie die Armut sie dazu gebracht hat.
Tiefste, brennende Schmach war in meinem Blick zu lesen. Darum hatte niemand mir ausdrücklich Vorwürfe machen wollen, doch der zurückgehaltene Zorn meiner Gefährten suchte nach einem Weg, sich zu entladen.
»Es hätte nur etwas mehr Entschlossenheit gebraucht«, sagte Malagigi mit säuerlichem Unterton.
»Was hat Entschlossenheit damit zu tun?«, erwiderte Kemal empfindlich getroffen.
»Du hättest dich sofort vor den kotzenden Secretarius stellen und ihn verbergen müssen. Sie haben gar nicht bemerkt, dass ihm übel war, bis du angefangen hast zu schreien.«
»Erstens habe ich mitnichten geschrien«, versetzte Kemal, »und zweitens waren die nicht blind, sie hätten es trotzdem bemerkt.«
|316| »Aber du hättest es wenigstens versuchen können! Wo sind deine Prahlereien über Mut und Geistesgegenwart geblieben, mit denen du uns beim Abendessen im Haus der Verrückten in den Ohren gelegen hast?« Malagigi war verzweifelt über die verpasste Gelegenheit, die Insel zu verlassen.
Verärgert
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