Das Mysterium der Zeit
schrieb? Übrigens hat Campanella später alle seine Komplizen verraten.«
»Ich möchte dich unter der Folter sehen«, sagte Guyetus.
»In dem Punkt hast du recht«, gab Schoppe zu. »Jedenfalls hoffe ich, dass ihr jetzt alle den Unterschied zwischen der römischen Kirche und den ausländischen Inquisitionen verstanden habt, die zuerst den politischen Interessen ihrer Heimat dienen, und danach, wenn überhaupt, dem Papst. Die angeblichen Hexen werden von protestantischen Inquisitoren auf den Scheiterhaufen gebracht, mitnichten von römischen. Giulio Cesare Vanini, der junge Karmelitermönch aus Apulien, der sich vor ungefähr dreißig Jahren zum Antichrist ausrief, armer Irrer, konnte seine Haut, solange er mit Rom zu tun hatte, immer retten. Munter wechselte er von einer Religion zur anderen, wobei er sich selbst je nach Laune widersprach. Obwohl er Europa mit ketzerischen Schriften überschwemmt hatte, drückte das Heilige Offizium jedes Mal ein Auge zu, ja half ihm sogar, aus England zu fliehen, wo man ihn ins Gefängnis geworfen hatte. Doch kaum war er in Toulouse angekommen, hat der Bürgerrat nicht lang gefackelt: Sie haben ihm die Zunge herausgerissen, ihn erwürgt und auf dem Markplatz verbrannt. Er war erst 34 Jahre alt. Ferrante Pallavicino, dieser Milchbart, der sich selbst die Geißel der Barberini nannte und sie mit seinen antipäpstlichen Schmähschriften bis zum Hals mit Jauche bedeckte, konnte ungestört kreuz und quer durch Italien fahren, aber kaum hatte er vor zwei Jahren einen Fuß auf französischen Boden gesetzt, wurde er geköpft!«
Das grausame Beispiel, von Schoppe aufgetischt, hypnotisierte die drei bärtigen Gäste, die mittlerweile gesättigt schienen.
|385| »Richtig, Ferrante Pallavicino ist in Frankreich hingerichtet worden, aber in Avignon, mein Guter«, präzisierte Naudé, »welches päpstliches Gebiet ist.«
»Pallavicino hatte den Barberini eine Bittschrift geschickt, damit sie ihm das Leben retteten, und sie wollten ihm schon Gnade gewähren, da gab wohl nicht zufällig ein Unbekannter jenes schreckliche Pamphlet Pallavicinos gegen die Barberini in Druck,
Il divorzio celeste di Gesù dalla Chiesa di Roma,
und die örtlichen Machthaber in Avignon hielten es für besser, das Urteil vollstrecken zu lassen, ohne den Papst zu informieren. Verrückt, nicht wahr? Aber vielleicht bin ich nicht gut unterrichtet … Über solche Geschichten seid ihr Starken Geister sicher viel besser informiert als ich, zumal der Freund Pallavicinos, der ihn mit dem Märchen nach Frankreich gelockt hatte, dass Richelieu an ihm interessiert sei, und ihn dann an die Garden auslieferte, ein Franzose war …«, endete er mit einem anspielungsreichen Grinsen.
»Was unterstellst du damit?«, zischte Naudé.
»Ich unterstelle gar nichts, ich schildere meinen bescheidenen Eindruck«, gab Schoppe sarkastisch zurück. »Mir scheint, ihr
Deniaisez
, ihr Starken Geister, seid ständig auf der Suche nach zwei Dingen, damit man euch ernst nimmt: Monstren und Märtyrer. Das Monstrum ist der Papst, die Märtyrer sucht ihr mit der Laterne, damit ihr den Mund voll nehmen und gegen ungerechte Verfolgung wettern könnt: Campanella, Pallavicino und dieser … äh, dieser Galileo.«
Nach kurzem Zögern und einem raschen Blick auf die drei Bärtigen hatte Schoppe den Satz beendet, ohne beleidigende Attribute wie »Bandit« oder »Betrüger« hinzuzufügen, mit denen er den großen toskanischen Wissenschaftler, der Opfer der Inquisition geworden war, sonst bedachte. Er wusste nicht, wie die drei Gäste darüber dachten und wollte Fehler vermeiden.
»Ah!«, machte der Hinkende, vielleicht zustimmend.
»Jedenfalls wiederhole ich, dass ich mit Campanella sehr eng befreundet war«, setzte der Verehrungswürdige nach und schenkte den drei Landmännern ein breites Lächeln, während ihm die Gier nach dem Schatz von Philos Ptetès aus den Augen blitzte.
Eine Weile herrschte Stille, man hörte nur die Kaugeräusche der Tischgesellschaft. Bei Schoppes letzten Unterstellungen über die
Deniaisez
waren Naudé und Guyetus ungerührt wie Marmorstatuen geblieben.
|386| »Ich habe dich reden lassen, Caspar«, setzte der Bibliothekar wieder an, und sein ausgesucht kühler Ton ließ mich Böses ahnen, »weil man dich unmöglich unterbrechen kann, ohne aus vollem Halse zu schreien. Ohnehin ist kein Wort deiner Rede eine Reaktion von meiner Seite wert. Nur eine Einzelheit muss ich aus moralischen Gründen zur Wahrung des Andenkens des
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