Das Mysterium der Zeit
ihre Perversionen zu befriedigen?
Heimlich verfluchte ich diesen Schwätzer Schoppe, der sich erst über Obszönitäten empörte, dann nach Petronius gierte und zuletzt euch Kastraten beleidigte.
|406| Von Kindesbeinen an hatten dir die Loblieder deiner lasziven Herren auf den Eunuchen in den Ohren geklungen. Doch die Beispiele, auf die jene Verklärung seines Zustands sich stützte, waren ebenso zweifelhaft wie die Lügen der antiken Historiker, die Bouchard aufgelistet hatte.
Welch schöne Märchen! Eine ganze Schar Kastraten soll die Gelüste des Darios in Babylonien beherrscht haben, darunter der Invertierte Bagoas, dem auch Alexander der Große leidenschaftlich zugetan war. Sogar von Nero heißt es, er habe um jeden Preis den Eunuchen Sporus zur Frau nehmen wollen und die Verbindung mit einer prächtigen Hochzeitsfeier besiegelt. Martial und Statius hatten Flavius Earinus besungen, den Liebling des Kaisers Domitian, und nach Ammianus Marcellinus hatten Eunuchen sogar die Macht in Rom ergriffen, indem sie ihren Einflussbereich von den Schlafzimmern der Senatoren auf den Senat selbst ausdehnten. Die Kastration, ursprünglich als Alternative zur Todesstrafe praktiziert, wurde in den Berichten der Historiker zu einem verlockenden Erfolgsrezept. Entmannte waren der sehr mächtige Narses, General des byzantinischen Heeres zur Zeit Justinians, und Ignazio, der große Patriarch von Konstantinopel, Sohn des Kaisers Michael I., den die Feinde seines Vaters kastrieren ließen, oder Eutropius, der erste Eunuch, der in Konstantinopel in den Rang eines Konsuls aufstieg. Welch ein Ruhm erwartete euch Invertierte, wenn man all diese funkelnden Mythologien hörte! Sogar der Gesangslehrer, der dich und deine Brüder als Kinder unterrichtete, Monsignore Felice Cancellieri, war Kastrat. Und sicher nicht wegen des Geldes, denn er kam aus einer berühmten Bankiersfamilie.
Über all das dachtest du vielleicht nach, während du mir verstohlene Blicke zuwarfst.
Vielleicht auch nicht. Plötzlich hatte ich das Gefühl, dass du nicht deine Gedanken mit mir teilen, sondern im Gegenteil herausfinden wolltest, was ich dachte. Ich sah deinen Blick von mir zu deiner geliebten Barbello schweifen.
Als die Frau deinen Blick erwiderte, begriff ich plötzlich, und es war wie ein Blitz in der Finsternis. Mir fiel ihre Mutterschaft ein, die der Korsar geschickt erahnt hatte, und von dieser Erinnerung wurde ich ans Ziel geführt.
Jetzt ahnte ich, wer Barbello war!
|407| Mein Verdacht war eigentlich eine Gewissheit, doch ich brauchte eine Bestätigung, und dafür musste ich Malagigi befragen. Aber dies war nicht der richtige Zeitpunkt.
»Und was haben wir hier auf Gorgona von Petronius’
Satyricon
gefunden?«, fragtest du, das Thema wechselnd, was Schoppe aus seiner Verlegenheit erlöste.
»Den zweiten Teil vom Gastmahl des Trimalchio«, antwortete Guyetus. »Welcher überaus kostbar ist, weil er die Gespräche der Tischgenossen in einer exotischen und sehr witzigen Sprache beschreibt, die großes Erstaunen in der ganzen Gelehrtenrepublik hervorrufen wird. Ich habe bereits zwei Dutzend Vokabeln gefunden, die, da bin ich sicher, in keinem einzigen anderen Werk des antiken Rom auftauchen. Und genau aus diesen Passagen geht sonnenklar hervor, dass der Autor des
Satyricon
derselbe ist, von dem Tacitus spricht. Wir müssen Philos Ptetès danken, natürlich auch Poggio Bracciolini, der auf diesen Seiten eigenhändig einen sehr alten Kodex mit dem vollständigen Text der
Cena Trimalchionis
kopiert hat.«
»Ich entsinne mich«, sagtest du, »dass auf dem ersten Fragment, das wir fanden, jene Anmerkungen von Poggio standen, die lauteten: ›Verlust von Geld … Schiff, das untergeht … Dreißig Millionen Sesterzen‹ oder ähnlich. Habe ich recht, Signor Secretarius?«
»Genau«, bestätigte ich, »und natürlich habe ich diese Blätter bei mir.«
»In meiner Unerfahrenheit, ja Unkenntnis in philologischen Dingen, die Ihr mir hoffentlich verzeiht, hatte ich diese Anmerkungen für Geschichten gehalten, zu denen Poggio vom
Satyricon
angeregt wurde. Dann habt Ihr mir erklärt, dass es sich um Glossen handelt, also um Kommentare, die Gelehrte zum persönlichen Gebrauch an den Rand des Textes schreiben.«
Das Grüppchen der Gelehrten nickte.
»Jetzt habe ich bemerkt, dass Trimalchio im Fortgang des
Satyricon
, den wir soeben lasen, während des Abendessens erzählt, dass er in seiner Jugend einige Schiffe verlor und dreißig Millionen Sesterzen
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