Das Mysterium der Zeit
was im Grunde überflüssig war, da man uns die Gewehre und den Hasen abgenommen hatte.
»Sagt wenigstens, was ihr von uns wollt!«, bat Naudé.
»Ruhe! Wir gehen jetzt los, und wer nicht gehorcht, kriegt eine Kugel in den Kopf«, brüllte einer der vier und winkte mit dem Lauf seiner Hakenbüchse.
Keiner wagte mehr, den Mund aufzumachen. Die vier gruppierten |543| uns einer hinter dem anderen, indem sie uns kräftige Tritte versetzten und brutal mit den Gewehrläufen in die Rippen stießen.
Einer der vier ging voran, zwei kontrollierten unsere Reihe von beiden Seiten, und der letzte bildete das Ende der Prozession. Wir gingen über einen schmalen Pfad, doch schon bald führten sie uns in das undurchdringlichste, wildeste Dickicht.
Unversehens waren durch diesen Überfall all unsere Hoffnungen zunichtegemacht. Wir würden nicht mehr mit dem Boot nach Livorno fahren können, was wir bereits um eine Nacht verschoben hatten; wir würden den anderen nicht einmal mehr von unserem Unglück berichten können. Wir waren in der Gewalt einer Gruppe unbekannter Räuber, die uns entweder töten oder als Sklaven verkaufen würden. In dem verzweifelten Gemütszustand, den unsere Lage bei jedem ausgelöst hätte, gab es nur einen einzigen winzigen Hoffnungsschimmer oder besser einen Grund zur Neugierde: Der Marsch bewegte sich auf den unbekannten Teil der Insel zu. Vielleicht würden wir bald erfahren, ob die geheimnisvolle Stadt, von der so viele sprachen, tatsächlich existierte.
DISKURS LXXXIII
Darin man einen unbekannten Ort auf Gorgona entdeckt und die Situation ausweglos erscheint.
Der Weg führte nun über einen sehr unwegsamen, stark abschüssigen Hang, wo man sich mit Händen und Unterarmen an den Pflanzen rechts und links abstützen musste, um nicht abzurutschen. Wir sahen, dass der Hang nicht in einer Schlucht endete wie jener, an der bei unserem ersten Jagdversuch der Vormarsch mit Gabriel Naudé gescheitert war. Durch die wenigen Lücken, die das dichte Laub gelegentlich freiließ, sah man einen weit entfernten, aber hellen Schimmer: Vor uns wartete, fern noch, aber grenzenlos und geduldig, das Meer.
Plötzlich mussten wir unsere Augen mit den Armen schützen, um nicht vom Tageslicht geblendet zu werden, das die waldige Natur dieser Insel fast überall verschattete. Vor uns öffnete sich das Panorama des Meeresarms zwischen Gorgona und der toskanischen Küste.
|544| »Was werden sie tun? Uns von der Klippe stoßen wie Mustafa?«, fragtest du erschrocken und wütend zugleich.
Statt einer Antwort stieß der Wächter, der dir am nächsten stand, den Kolben seines Gewehrs in die Seite, sodass du vor Schmerz und Überraschung aufschriest, was jedoch die beabsichtigte Wirkung erzielte – dich zum Schweigen zu bringen.
Die Strecke war unterdessen zu einer seiltänzerischen Herausforderung geworden. Pinien, Eichen, Rosskastanien und Zerreichen hatten Strauchwerk und Farnen Platz gemacht, dann Rosmarinsträuchern, Myrtenbüscheln und kleinen, mit Erdbeerbäumen, Myrte und Ginster bewachsenen Flächen, vor allem aber spitzen Steinen und vom Wind scharf geschliffenen Felsbrocken. Wer sich nicht Hände und Füße an den Steinen aufschürfte, lief Gefahr, talabwärts zu fallen und womöglich ins Meer hinunterzurollen.
Gerade als unser erzwungener, in höchstem Maße aufreibender und gefährlicher Marsch gar keinen Sinn mehr zu haben schien, befahlen unsere vier Entführer uns anzuhalten. Einer von ihnen ließ sich in einen von dichtem Gebüsch umstandenen Graben hinab, der von Menschenhand mit Erdreich und Stroh gefüllt zu sein schien. Geduldig schob er einige Büsche aus der Mitte des Lochs beiseite und legte schließlich eine sorgfältig polierte Fläche aus zusammengenagelten Brettern frei. An einer Seite befand sich ein eiserner Griff, den der Räuber energisch nach oben zog. Die Falltür öffnete sich.
Der Räuber oder Korsar schlüpfte hinein und verschwand. Erstaunt sahen wir uns an: War dies womöglich ein in den überaus harten Felsen von Gorgona gegrabenes geheimes Versteck? Wir musterten die Gesichter von Philos Ptetès und seines Gefährten, doch die beiden schienen noch resignierter als wir, sie hielten die Augen gesenkt und wagten nicht den leisesten Widerstand. Philos Ptetès war sogar der Erste, der dem Räuber ins Unbekannte folgte. Der Mann, den wir so lange verfolgt hatten, der das Schicksal einiger Teilnehmer unserer Gruppe ändern konnte, schien angesichts der Übermacht fügsam wie ein
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