Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Das Mysterium der Zeit

Titel: Das Mysterium der Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Francesco Rita & Sorti Monaldi , Sorti
Vom Netzwerk:
zuhauf hinter sich gelassen. Nach häufigen Wechseln des Wohnortes (Venedig, Spanien, die Schweiz) hatte er sich in Padua niedergelassen, in der Hoffnung, dort seinen Verfolgern zu entkommen.
    »Als ich ihn wiedererkannte, glaubte ich meinen Augen nicht zu trauen«, sagte Naudé, derweil er das Fläschchen schüttelte, um die schwarze Flüssigkeit zu mischen, »und wir lagen uns sofort in den Armen. Der gute alte Schoppe!« Er nahm deinen Arm. »Du musst wissen, mein Junge, dass die Welt klein ist und besonders klein unter den Gelehrten! Ich kenne den guten Schoppe, seit ich zum ersten Mal nach Padua reiste, um den großen Galilei zu treffen. Du warst damals noch ein Kind. Padua ist die ideale Stadt für ein solches Individuum, einen Menschen, der nicht nur die politische Wissenschaft von Grund auf beherrscht, sondern auch ein bewundernswerter Kenner der Klassiker ist. Denn Padua ist eine der Wiegen für das Studium des Altertums. Was für eine Überraschung war es dennoch, ihn nach all den Jahren wiederzusehen! Als ich ihn erkannte, habe ich die Augen aufgerissen, denn wenn ich nicht sehe, glaube ich nicht, wie der Apostel Johannes sagte.«
    »Der Apostel Thomas«, verbesserte ihn Guyetus abermals aus dem dunklen Winkel, umhüllt von den immer dichter werdenden Schwaden aus seiner Pfeife.
    »Thomas, ja sicher, Thomas«, brummte Naudé, während er vergeblich versuchte, das Fläschchen mit den Zähnen zu öffnen, da sein Stopfen im gläsernen Hals festgesaugt schien wie die Muschel am Felsen.
    »Bis jetzt kannte ich Schoppe nur dem Namen nach, da er einer der scharfsinnigsten Kenner klassischer Autoren ist, ein Philologe ersten Ranges, würde ich sagen«, erklärte Guyetus, der seinerseits der König |71| unter den Pariser Philologen war. »Zwar hat er schon seit vielen Jahren kein einziges Buch mehr veröffentlicht, ja, recht besehen, scheint er lediglich in seiner Jugend ein paar Sächelchen hervorgebracht zu haben«, fuhr er fort, jene feine Dosis Gift verspritzend, welche die Altertumsforscher meisterhaft in ihr Loblied auf einen Kollegen zu träufeln verstehen, damit die Würdigung wirkungslos bleibt.
    »Doch was mir an Schoppe am meisten gefällt, ist, dass er ein Meister des öffentlichen Wettstreits ist, ein wahrer Löwe, der bei Disputen auf Leben und Tod zur Hochform aufläuft. Mutig hat er mit halb Europa gestritten: mit den Jesuiten, den Engländern, den Spaniern, mit den Katholiken, als er Lutheraner und mit den Lutheranern, als er katholisch war. Man hat versucht, ihn zu erstechen, als er spazieren ging, zu erschießen, als er am Fenster stand, man hat ihn verleumdet, bedroht, beleidigt. Er hat Deutschland verlassen, weil er fürchtete, umgebracht zu werden, das stimmt, aber auch in Padua lebt er in ständiger Angst vor einem Attentat. Es heißt, dass man bei seiner Beerdigung Schlange stehen wird, weil so viele kommen, um sich zu vergewissern, dass er endlich tot ist, hihi!«
    »Der gute Schoppe ist ein Meister in der Kunst, sich Feinde zu machen!«, ergänzte Naudé lachend. »Vor einigen Jahren hatte er sogar vor, nach Frankreich zu gehen, und bat mich um Hilfe bei der Beschaffung eines Privilegiums seitens unseres verstorbenen Königs Ludwig XIII., damit niemand seine Bücher plagiieren konnte. Doch dann hat er den Plan nicht weiter verfolgt.«
    Doch vor allem hatte Schoppe mit seinen Streitschriften einen der größten Gelehrten aller Zeiten auf dem Gewissen: Joseph Justus Scaliger. Schoppe hatte ihn mit verleumderischen Pamphleten attackiert und sogar ein ganzes Buch gegen ihn verfasst, wo er ihn einen Betrüger nannte, der die Vergangenheit der Welt komplett erfunden habe.
    »Die Vergangenheit der Welt erfunden?«, wundertest du dich. »Was bedeutet das denn?«
    In Wirklichkeit, beeilte sich Naudé zu erläutern, habe Scaliger gar nichts erfunden, im Gegenteil. Er habe sich sein ganzes Leben lang bemüht, die Frage nach dem Alter der Welt vom Beginn mit der Schöpfung an systematisch zu klären, indem er als Erster die Chronologien mit den herausragenden Ereignissen in der Geschichte der Araber, Juden, Christen, Römer, Griechen, Byzantiner, Armenier, Perser, Chaldäer und Babylonier und aller anderen Völker der Antike miteinander |72| abstimmte und zu dem Zeitpunkt der Geburt unseres Herrn Jesus Christus in Bezug setzte. Scaliger müsse das wohl gelungen sein, denn seine Universale Chronologie, vor etwa sechzig Jahren veröffentlicht, gehöre zum sicheren Wissensbestand der Historiker und werde

Weitere Kostenlose Bücher