Das Mysterium der Zeit
dem Tisch hervor, und als er Kemals Klinge auf seine Nase gerichtet sah, hob er mit rollenden Augen die Arme als Zeichen der Kapitulation.
»Ich erkenne ihn«, sagte ich. »Es ist der, der vom Boot aus in die Luft geschossen hat, bevor sie uns wie Würste verschnürt dem Ertrinken überlassen haben.«
»Er ist es«, bestätigte der Freund von Philos Ptetès.
»Wo sind deine Kumpane?«, fragte der Korsar unseren Gefangenen, der sich noch nicht zu erheben wagte.
»Und wo ist Philos Ptetès?«, drängte Naudé mit der einzigen Frage nach, die ihm wirklich am Herzen lag.
»Ich … ich kann es Euch nicht sagen«, stammelte er mit flehenden Blicken, vielleicht um unsere Gnade zu erbitten.
»Unverschämter! Was soll das heißen?«
Das war die Stimme von Schoppe, dessen Nase in der Türöffnung erschien. Statt sich von der Baracke zu entfernen, wie es für einen alten und unbewaffneten Mann geboten war, hatte er dem Bedürfnis nicht widerstehen können, von einem der Banditen persönlich zu erfahren, |587| wo das Objekt seiner philologischen Begierden steckte, und war darum direkt am Eingang stehengeblieben, um zu lauschen. Bald kamst auch du mit Barbara dazu.
Alis Statthalter zog den Kerl, der etwa halb so groß war wie er, am Kragen in die Höhe, schleifte ihn mit sich und stieß ihn brutal gegen die Wand, direkt neben der Anrichte, wo die Teller standen, von denen er und seine Komplizen gegessen hatten.
»Also, was zum Teufel habt ihr mit dem Mönch gemacht?«, brüllte er ihm ins Gesicht.
Der Befragte antwortete nicht.
»Willst du endlich reden?«, zischte der Barbareske, die Stimme fast bis zur Unhörbarkeit senkend, doch das Messer auf die Kehle des anderen gerichtet.
Da kam die Antwort:
»Wir hatten Hunger. Es gab nichts anderes.«
Kemal wandte sich erst zu uns um, dann brach er in ein krampfhaftes, lautstarkes Gelächter aus. Gewiss war das ein Vorspiel zu einer Strafe für diese Erklärung, die ihm offenbar wie eine Auskunftsverweigerung erschien.
»Ihr hattet Hunger? Was soll der Unsinn? Habt ihr ihn vielleicht gegessen?«, sagte er, während er den Befragten noch fester am Kragen zog, sodass er ihn fast erdrosselt hätte, und ihm das Messer gegen den Kehlkopf drückte. Dem Armen blieb daher kaum Atemluft, um zu antworten und sein Leben zu retten:
»Um ehrlich zu sein, habt auch Ihr ihn gegessen.«
DISKURS LXXXIX
Darin man für die Sünde der Völlerei büßt, sodann eine Unvorsichtigkeit begeht, die zu einem Kampf bis aufs Blut führt, bei dem die Unseren das Nachsehen haben.
»Wie? Hahaha!«, lachte Ali Ferrareses Statthalter, ohne seinen Griff um den Hals des Schurken zu lockern. »Habt ihr gehört? Er sagt, wir hätten euren Mönch aufgegessen … Wie hieß er noch gleich? Philos Ptetès. Haha! Ist das nicht lustig?«
|588| »Gegessen? Was? Das Gulasch?«
Caspar Schoppe und ihr beide kamt in die Hütte zurück. Kemal senkte das Messer und ließ den Hals des Banditen los, in dessen Miene sich Erleichterung und Schmerz zugleich abzeichneten.
»Ich warne dich: Rede keinen Unsinn, sonst schneide ich dir den Kopf ab und werfe ihn den Fischen zum Fraß vor!«
»Er konnte fliehen, also mussten wir auf ihn schießen. Dann hat unser Anführer ihn kochen wollen, da man ja auf Gorgona …«
Der Bandit wartete unsere nächsten Fragen nicht ab:
»Geht doch draußen nachschauen. Seht Ihr diese Ulme? Sagt Euren Freunden, sie sollen es überprüfen. Dort haben wir die Knochen und Innereien vergraben. Da steht auch ein Kreuz.«
»Bist du verrückt?«, knurrte der Korsar. »Oder glaubst du, wir sind alle nicht ganz bei Trost? Willst du mir wirklich weismachen, ihr fresst einen Christen auf und begrabt die Reste des Mittagessens dann sogar unter einem Kruzifix?«
Der falsche Barbello lief sofort hinaus, um nachzusehen.
Unterdessen dachten alle daran zurück, wie wir in völliger Arglosigkeit Meinungen über die Qualität des Fleisches ausgetauscht hatten, während wir das üppige Mahl verzehrten. Durchaus schmackhaft, aber anders als alles, was wir kannten …
»Das ist auf dieser Insel so Brauch! Willst du das etwa leugnen, wo du doch Kommissar von Gorgona gewesen bist?«, sagte der Bandit, an unseren Begleiter gewandt.
Der Freund von Philos Ptetès saß leichenblass da, sein Mund stand offen, der Kiefer bewegte sich ohne Grund auf und nieder, und der überfließende Speichel zwang ihn zum häufigen Ausspucken.
»Ja, das hat man sich immer erzählt …«, nuschelte er mit tonloser Stimme. »Im
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