Das Mysterium der Zeit
reißen, den er soeben verspeist hatte.
»Als wir ihn trafen, trug er einen Sack auf dem Rücken«, erinnerte ich mich.
»Das stimmt«, bestätigte Naudé. »Doch ich glaube nicht, dass der Papiere enthielt, die für uns interessant sind …«
»Man weiß nie, meint ihr nicht?«, erwiderte Schoppe, drehte uns den Rücken zu und ging in die Hütte.
Naudés Gesicht wurde noch fahler. In der Grotte des Seeochsen hatte er mir seine Befürchtungen anvertraut: Philos Ptetès beobachtete ihn schon seit unserem Schiffbruch und hielt ihn für schuldig am Tod Bouchards. Darum glaubte er, dass der Mönch ohne die ersehnte |591| Erbschaft von Poggio Bracciolini zu unserem Treffen erscheinen würde. Nun fürchtete Naudé, der Sack des Mönchs könnte noch mehr Aussagen Bouchards zu seinem Ungunsten enthalten.
»Schluss jetzt mit dem ewigen Geschwätz über Papierkram! Ihr seid alle Bestien, man sollte euch ordentlich in den Hintern treten. Wohin geht dieser neugierige Tattergreis jetzt? Ruft ihn zurück, verflucht! Wenn Ali Rais hier wäre, er würde euch alle nackt und kahlgeschoren ans Ruder ketten«, brüllte der Korsar, dessen Ungeduld sich durch das Gericht auf Menschenfleischbasis verdreifacht zu haben schien.
Da niemand Schoppe zurückholen ging, lief Kemal selbst in die Hütte und kam sofort wieder heraus, den alten Verehrungswürdigen am Kragen zerrend. Der schrie, aber nicht aus Wut, im Gegenteil, schon bald hörten wir, dass es Freudenschreie waren.
»Ich hab sie gefunden, ich hab sie gefunden!«, kreischte er entzückt, den Sack des armen Philos Ptetès schwenkend.
»Den nehme ich, Alterchen!«, donnerte Kemal, riss Schoppe den Sack aus der Hand und hängte ihn sich über die Schulter. »Ihr kriegt ihn, wenn wir von hier fortkommen!« Dann wandte er sich an den ehemaligen Kommissar: »Und du, was kannst du uns noch über deinen Freund erzählen? Sind das seine Knochen?«
»Wie soll ich das denn wissen?«, fragte der verwirrt. »Ich kann Lebende wiedererkennen, aber doch keine Gerippe. Der Schädel ist in Stücke geschlagen, wie ihr seht. Jedenfalls glaube ich …«
»Achtung!«, schrie Naudé, in die Ferne zeigend.
Mehr brauchte er nicht zu sagen, wir begriffen alle augenblicklich. Die Banditen waren schwer bewaffnet zurückgekehrt. Wir hatten nur unsere Pistole.
Der erste Schuss kam nicht von dem Banditen, den Naudé gesehen hatte, sondern aus einem dunklen Punkt im Wald. Ich erwiderte das Feuer mit der Pistole, während alle anderen blitzschnell verschwanden, um sich so gut es ging im Unterholz zu verstecken. Unsere Angreifer waren aus der Richtung gekommen, in der die Torre Vecchia lag, also lief unsere Gruppe in die entgegengesetzte Richtung.
Doch die Feinde gaben keine weiteren Schüsse ab und blieben versteckt. Vielleicht luden sie nur die Waffen, es war schwer zu sagen, was sie vorhatten.
Wir nutzen ihre Unschlüssigkeit, um uns Hals über Kopf in den Wald zu stürzen, alle in Richtung auf den unbekannten Teil der Insel |592| zu. Ich wusste, dass wir Gefahr liefen, von derselben Schlucht aufgehalten zu werden, die uns schon bei dem ersten Jagdausflug mit Naudé zum Umkehren gezwungen hatte, doch vielleicht würde gerade das die Banditen davon abhalten, uns zu verfolgen – wenn sie es denn vorhatten.
Bald schlugen wir uns durch das undurchdringliche Gestrüpp auf einem steil abfallenden Hang, ähnlich jenem, auf dem Naudé, du und ich beim Jagen nur mühsam vorangekommen waren.
Erleichtert, doch nicht wenig überrascht, stellten wir fest, dass die Banditen die Verfolgung aufgegeben hatten. Sie besaßen mehr Waffen als wir und keinen jammernden Alten in ihrem Gefolge, doch offenbar hatte ein einziger Pistolenschuss sie von einer Fortsetzung des Kampfes abgehalten, was ziemlich unerklärlich war.
Wir gingen dicht nebeneinander her. Naudé und ich behielten die Gruppe vor uns im Auge, während Ali Ferrareses Statthalter die Vorhut bildete.
Zur Langsamkeit verdammte uns der alte Schoppe, den Kemal auf diesem abschüssigen, rutschigen Boden natürlich nicht tragen konnte, ohne bei jedem Schritt Stürze zu riskieren.
»Los, Nazarenerhunde, beeilt euch, ich habe keine Lust mehr zu warten«, drängte der Barbareske, als wären wir schuld daran, dass er Zeit verlor.
Manchmal hörte man Schoppe laut fluchen, und nicht nur weil er sich auf so schwierigem Gelände kaum auf den Beinen halten konnte.
»Verdammt! Wann kommen wir endlich hier heraus? Man hat mir den Sack des Mönchs abgenommen, den
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