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Das Mysterium der Zeit

Titel: Das Mysterium der Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Francesco Rita & Sorti Monaldi , Sorti
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wurde vom römischen Diktator Sulla beschlagnahmt, der sie in einer seiner römischen Villen aufstellen ließ. Gut zwei Jahrhunderte waren seit dem Tod von Theophrast vergangen, während derer die Werke des Aristoteles unauffindbar blieben. In Rom war derweil ein gewisser Tyrannion (wieder ein recht unwahrscheinlicher Name) als Kriegsgefangener angekommen, der dann freigelassen und dank seiner erlesenen Bildung – welch Wunder! – sogar ein Freund Ciceros, des großen Bewunderers von Aristoteles, wurde.
    Geschickt bestach Tyrannion den Bibliothekar Sullas und erhielt die kostbaren Bände des Aristoteles als Leihgabe. Doch in welchem Zustand mögen die Handschriften des großen Denkers nach so vielen Schicksalsschlägen (Feuchtigkeit, Würmer, Kriege, Umzüge aus der Türkei nach Athen, von Athen nach Rom) gewesen sein? Wohlgemerkt, in der Zwischenzeit waren Werke anderer Autoren in Umlauf gekommen, die ebenfalls Aristoteles hießen, und man hatte auch diese dem Philosophen zugeschrieben.
    Tyrannion, der dank seines geglückten Bestechungsversuchs glaubte, den Schatz als Erster in Händen zu halten, musste zu seinem Leidwesen entdecken, dass Sullas Bibliothekar einer ganzen Reihe Leute denselben Gefallen getan hatte, darunter vielen skrupellosen Buchhändlern. Es scheint also, als wären die Schriften von Neleus/Aristoteles vielfach gelesen, transkribiert und dann planlos in die unterschiedlichsten Richtungen verbreitet worden. Deprimiert überlässt Tyrannion dem Philosophen Andronicus die Handschriften, der zum ersten Mal eine Aristoteles-Gesamtausgabe zusammenstellt, die bis in unsere Tage überliefert |651| ist. Leider steckt sie voller Fehler: Schon über zwanzig Werke wurden als nicht von Aristoteles stammend erkannt.
    Moment, das große Finale fehlt noch! Kehren wir zu Demetrios zurück, dem Leiter der Bibliothek von Alexandria. Nach dem Tod von Ptolemaios Philadelphos und der Thronbesteigung seines Sohnes Ptolemaios II. wurde er verhaftet und verbannt, weil er als zu intrigant galt. Eines Tages geschah ihm dasselbe wie Kleopatra: Er schlummerte auf einem Diwan, als ihn der Biss einer Schlange weckte. Er begriff sofort, dass er erledigt war, und dass vielleicht sogar der Pharao hinter dem Anschlag steckte. Ein schöner Roman.
    Die ganze Geschichte ist offensichtlich eine Gotteslästerung. Demetrios der Präfekt der Bibliothek von Alexandria? Es hat sie nie gegeben, wie viele seit langem wissen. Doch auch der Rest ist nichts als Ausschuss, eine dumme Legende, die hinten und vorne nicht stimmt, und die an den Schulen zu lehren der Anstand verbieten sollte.
    Die Erben von Neleus vergruben die Bücher des Aristoteles aus Dummheit in ihrem Garten, gaben sie also den Würmern und Ameisen zum Fraß? Konnten sie sie nicht in einer Truhe verstecken oder einem Treuhänder übergeben? Statt Gold zu scheffeln, indem sie die Rollen einem Pharao verkauften (sie werden doch wohl davon gehört haben, dass Ptolemaios Philadelphos sie seinerzeit unbedingt besitzen wollte!), überließen sie sie einem zwielichtigen Buchhändler mit Vorstrafen. Ist das glaubhaft? Und warum gab es nur eine einzige Kopie der Schriften? Hatte der Philosoph nicht dafür gesorgt, dass die Frucht jahrzehntelangen Unterrichtens erhalten blieb? Er besaß eine große Bibliothek: nicht einmal dort bewahrte er Zusammenfassungen seiner Lehren auf? Und nicht einer seiner zahllosen Bewunderer und Schüler hat diese kostbaren Aufzeichnungen, die das Material für Dutzende von Büchern bildeten, wenigstens zum Teil kopiert? Nicht einmal Theophrast und Neleus hatten daran gedacht? Waren sie wirklich so schlampig, die hochgebildeten Schüler von Aristoteles?

    Beim Studium der Antike wird Einbildung als Gewissheit ausgegeben, der Glaube mit der Lehre verwechselt, auf dem Tellerchen für Marmelade wird Mist serviert.
    Das Wissen um die Vergangenheit ist eine ekstatische Priesterin, angetan mit dem falschen Bart des Gelehrten.
    |652| Wenn es von den Aufzeichnungen Aristoteles’ wirklich nur eine Kopie gab, warum stieß Apellikon, als er sie nach zwei Jahrhunderten Vergessenheit in die Hände bekam, trotz ihres üblen Zustands nicht einen Jubelschrei aus, den alle Welt hören konnte? Nur der Historiker Strabo berichtete von dem glücklichen Fund, kein einziger antiker Autor, auch Cicero nicht (der, wie die antiken Historiker behaupten, Aristoteles’ Werke gut kannte), zeigte sich verblüfft oder begeistert über die Bergung dieser unschätzbaren Kostbarkeiten.

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