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Das Mysterium der Zeit

Titel: Das Mysterium der Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Francesco Rita & Sorti Monaldi , Sorti
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Paleokappa, Angelus Vergecius, Symeon Kabasilas. Gemeinsam mit vielen anderen haben sie mit ihren Fälschungen, manche plump, andere sehr raffiniert, die gesamte Literatur der griechischen Klassik verfälscht. Sie sind durch ganz Europa gezogen, haben blitzschnelle, verdächtige Karrieren gemacht, und seltsamerweise hat niemand sie aufgehalten. Wenn sie im Gefängnis landeten, waren sie nach wenigen Tagen wieder frei. Sie wurden beschützt.
    So wie die Hand von Poggio Bracciolini die Buchstaben schrieb, welche die venezianische Druckerei von Aldo Manuzio zu Lettern goss, um dann mit ihren Pressen jene Ausgabe zu drucken, die wir noch lange Zeit lesen werden, so entwarf Paleokappa die griechischen Buchstaben, welche die Königliche Druckerei von Frankreich durch den Drucker Robert Estienne für den Druck der Bücher auf Griechisch übernahm. Estienne war der Schwiegervater von Casaubon, dieser wiederum Kunde von Darmarios, und daran sieht man, wie eng der Kreis war, der die falschen Helden der Philologie mit ihren Parasiten, den Fälschern, verband.
    Die Gelehrten, die nicht übersehen konnten, mit wem sie es da zu tun hatten, haben sie gedeckt und gemästet. Sie haben sie sogar den Königshäusern empfohlen. Casaubon, Agustìn, Schott, die Kardinäle der heiligen römischen Kirche: sie sind es gewesen, die Besten, die Scharfsinnigsten, die Größten der Gelehrtenrepublik, die dem Dreck, der Lüge, der Entartung Tür und Tor geöffnet haben.
    Literarische Schimären wurden fabriziert,
eidola
, deren Name nicht mehr wert ist als die Tinte, mit denen sie geschrieben wurden. Doch sie wurden studiert, auswendig gelernt und in die Handbücher aufgenommen. Der geschickteste Schachzug waren die Chronographien und historischen Werke, die die Grundlage für weitere Betrügereien schufen. Aus dem Nichts wurden Regenten und Dynastien, Kriege und Waffenstillstände geschaffen, ganze Reiche, im Traum geboren, wurden Wirklichkeit.
    Sie haben uns erzählt, dass die originalen Handschriften der großen Autoren |668| verlorengingen, dass sie von anonymen Skribenten kopiert wurden, und dass die nachfolgenden Kopien durch die Unachtsamkeit der Kopisten zahllose Unterschiede aufweisen. Die ältesten griechischen und lateinischen Handschriften gehen auf das achte Jahrhundert nach Christus zurück. Das Original ist älter, sagen sie, und es ist verloren. Doch viele Chroniken des Karolingischen Zeitalters oder der Zeit des Synkellos wurden
ab
dem achten Jahrhundert geschrieben. In diesem Fall müssten wir die Originale also haben, doch auch diese sind verschwunden. Aber auch hier haben wir nur Kopien aus weit jüngerer Zeit. Sind sie auch unzuverlässig wegen der Schlamperei der Kopisten? Die Erklärung ist einfach: In beiden Fällen hat es das Original
nie gegeben
. Die unerklärlichen Unterschiede zwischen zwei Kopien verdanken sich nicht der Nachlässigkeit von Kopisten, sondern sie sind gewollt, sie dienen dazu, die Philologen beschäftigt zu halten. Die Philologen sollen sich mit bedeutungslosen Kleinigkeiten abmühen, Jahre damit zubringen, festzustellen, warum die dritte Zeile eines bestimmten Kodex auf O, die eines anderen dagegen auf A endet und darüber den Blick auf das Ganze, auf den großen Betrug verlieren.
    Die Praxis des »stemma codicum«, des Stammbaums einer Handschrift, die Poliziano erfand, der Kumpan der Päderastenspiele der Medici, ist die auf die Welt der Literatur angewandte Perversion. Sein eigentlicher Zweck ist es, auf die Zeit einzuwirken und auch sie zu pervertieren, indem Autoren, Werke und Fakten erfunden werden, Kinder des Lasters. Sie haben uns falsche Epigramme und Inschriften überliefert, oder solche, die keiner je sah, weil sie in inexistente Tempel, in imaginären Marmor gemeißelt wurden.
    Eines Tages werden Ausgräber losgeschickt werden, damit sie Gegenstände ohne Geschichte aus der Erde holen, und dann wird es heißen: das sind die Beweise. Und wenn auf den Scherben Namen fehlen, werden sie rasch eingeritzt, bevor die Sachen den Museen übergeben werden.
    Die pervertierte und mit literarischen Gespenstern bevölkerte Zeit, der Roman, den die Fälscher mit großer Raffinesse komponiert haben, wird zur Geschichte werden.

    »Ich kann es nicht glauben«, sagtest du und ließest dich auf einen der Schemel in der kleinen Kammer fallen, »Platon und Aristoteles: beides Phantasiegespinste?«
    |669| »Wir haben jetzt keine Zeit zum Diskutieren«, mahnte ich, »wir müssen Schoppe und Naudé

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