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Das Mysterium der Zeit

Titel: Das Mysterium der Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Francesco Rita & Sorti Monaldi , Sorti
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hierherführen. Sie sind ein bisschen derangiert, doch wenn sie die große Neuigkeit erfahren, werden sie sich blitzschnell auf den Weg machen, Fieber und Verletzungen hin oder her.«

DISKURS IC
    Darin für Caspar Schoppe der große Moment kommt.
    Der Verehrungswürdige saß zitternd auf einem Schemel und wärmte sich notdürftig mit ein paar zerschlissenen Decken. Seine Augen waren gerötet, er hustete und wirkte um zehn Jahre gealtert.
    Bei der Nachricht von unserem Fund riss er die Augen auf und murmelte etwas auf Deutsch, was halb wie eine Verwünschung seiner Feinde und halb wie ein Dankgebet klang.
    »Ausgerechnet jetzt, wo Naudé, Hardouin und Guyetus nicht mehr dabei sind …«, flüsterte er wie von Sinnen, doch schon mit einem triumphierenden Unterton. Dann schien er wie durch ein Wunder plötzlich genesen. Er warf die Decke voller Flöhe weg, die ihn gewärmt hatte, erhob sich und verlangte in fast militärischem Ton, an den Ort geführt zu werden.
    »Wir gehen sofort los! Aber fragt mich nicht, wo Gabriel ist. Der verfluchte Korsar hat ihn vor einer halben Stunde weggebracht. Sie haben gesagt, sie kämen bald zurück, aber …«
    »Wo sind sie denn hingegangen?«, fragte ich.
    »Keine Ahnung.«
    Wer weiß, ob das stimmte. Jetzt, wo er kurz davor stand, die Beute in Händen zu halten, konnte Schoppe sehr gut gelogen haben, um den Rivalen kurzfristig auszuschalten. Doch wir würden Naudé früher oder später wiederfinden, und so beschlossen wir, dass es keinen Grund gab, auf ihn zu warten. Wir hinterließen den beiden eine Nachricht und gingen im Sturmschritt hinaus.
    Während wir durch die ausgestorbenen Gassen eilten, erklärten wir Schoppe, dass das Kabuff mit dem Schatz von Philos Ptetès eine Art Vorbau des Häuschens bildete, in das wir eingetreten waren. Es musste |670| der restliche Teil eines angrenzenden, später abgerissenen Gebäudes sein, zu dem man von innen einen Zugang hatte lassen wollen. Die Mauern des Kabuffs, die aus dem Häuschen, mit dem es verbunden war, herausragten, wurden von außen durch zwei große Eisenträger gestützt, sodass es fast wie ein Auswuchs der Hausmauer wirkte.
    Das Kabuff mit Blick aufs Meer war also eine Art über dem Nichts schwebendes Geheimzimmer, das Philos Ptetès nur mit Hilfe von Hinweisen eines Ortskundigen hatte finden können.
    »Da oben ist es, seht Ihr?«, rief Barbara-Barbello.
    »Ein ausgezeichnetes Versteck«, bemerkte Schoppe, »von außen unmöglich zu entdecken. Ein kluger Kopf, dieser Philos Ptetès. Und wie habt ihr es herausgefunden?«
    Atto erzählte von dem Zettel mit dem Buchstaben r an der Tür. Er erklärte, der Stollen, der zu dem Versteck führte, musste ursprünglich ein Brunnen gewesen sein, der dann, vielleicht weil er erschöpft war, als Durchgang benutzt wurde.
    Unterdessen hatten wir unser Ziel erreicht. Es war nicht gerade einfach, den alten Deutschen in den Schacht und dann durch den Durchschlupf in das Kabuff zu zwängen, doch das Ergebnis lohnte die Mühe.
    Als er sich zu dem großen Bücherregal umdrehte, schwanden Schoppe fast die Sinne. »Ooooh … Gott sei gepriesen!«, sagte er, sank auf einen Schemel und schlug ein Kreuzzeichen.
    Dann kniete er vor dem Schatz nieder und betete lange mit gefalteten Händen in einem wunderlichen Gemisch aus Deutsch, Italienisch und Paduaner Dialekt. Noch während er das Gebet flüsterte, hob er die Augen zu der beeindruckenden Strecke aus jahrhundertealten Handschriften, die ihm altehrwürdiger erscheinen mussten als die Mauern von Jerusalem, majestätischer als die Kuppel des Petersdoms und heiliger als der Ölberg. Zuletzt wurde er von Schluchzern geschüttelt, und ebenso jäh und reichlich wie bei Schauspielern, die sie zur Rührung des Publikums aus dem Nichts hervorbringen können, fielen warme Tränen auf den staubigen Fußboden dieses bizarren Allerheiligsten der Antike, in welchem wir versammelt waren.
    Dann erhob sich Schoppe und begann mit fiebriger Gier wild in den Handschriften zu blättern. Er packte drei oder vier mit einer Hand, presste sie sich an die Brust, steckte sie in seine Hose, unter sein Hemd, als könnte er sie nicht eine Minute länger von sich getrennt sehen, ja, als wollte er sie sofort alle am Körper mit sich tragen, nach |671| Padua oder anderswohin, auf dass Tinte, Papier und Bindung augenblicklich Fleisch von seinem Fleische würden, monströse Prothesen seines welken, feisten Körpers, und mit ihm einen Hybriden aus Mann und Papier bildeten, bei dem die

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