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Das Mysterium der Zeit

Titel: Das Mysterium der Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Francesco Rita & Sorti Monaldi , Sorti
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Handschriften je nach der Gestalt diesen Mischwesens zum Affenschwanz, Drachenkamm, Hühnerflügel oder Horn eines Auerochsen wurden.
    Während er sich die kostbaren Kodizes noch mit zitternden Händen wie besessen hier- und dorthin steckte (ein schmales Bändchen fand sogar Platz unter seinem Jackenärmel), überflog Schoppe schon mit flinken Fuchsaugen die Titel und las sie, stammelnd vor Lust, laut vor, in seinem Singsang nur behindert von dem winzigen Heftchen eines wer weiß wie berühmten Autors, das er zwischen den Zähnen hielt:
    »Ammianus Marcellinus, die … die
Geschichten
… Oh, ihr himmlischen Götter … die
Germanischen Kriege
von Pli… Plinius … und Livius … Livius Va-varro … ich fasse es nicht!«.
    Nachdem er sich mit Handschriften vollgestopft hatte, außerdem zwei turmhohe, schwankende Stapel auf den Armen balancierte und mit dem Kinn festhielt, sank er endlich erschöpft auf den Schemel zurück, wobei es ihm wunderbarerweise gelang (die Macht philologischer Begierde!), keine einzige der kostbaren Handschriften fallenzulassen. Dann zog er das Ganze wieder aus Jacke, Hose und Hemd hervor und häufte die Last auf das winzige Tischchen an der Seite. Er bedachte sie mit einem misstrauischen Blick.
    »Der Petronius fehlt! Aber … ach ja, wie dumm von mir, den haben ja die drei Bärtigen!«
    Sodann stürzte er sich auf die erste Kostbarkeit, die er mit lüsternen Blicken rasend schnell durchblätterte, gelegentlich einige Textpassagen vor sich hin brummend.
    »Ja, er ist es, mein heißgeliebter Ammianus … genau wie ich immer vermutet habe. Ja, das hier ist er, stimmt … Eine perfekte Handschrift, ein Klassiker seines Genres. Der Schreibduktus ist beispielhaft: die Hand eines italienischen Humanisten aus dem 14.–15. Jahrhundert. Er wird aus einem Kodex des 10.–11. Jahrhunderts kopiert haben, der wiederum auf ein karolingisches Exemplar aus dem 8. Jahrhundert zurückgeht. Die ersten dreizehn Kapitel sind vollständig … Ach, wie herrlich! Hier der Anfang:
Hic incipit feliciter Historia Ammianii Marcellini
… Gott sei gelobt. Alle Kaiser ab dem Tode Cäsars kommen darin |672| vor! Wisst ihr, was das bedeutet? Von jetzt an kann man die gesamte Chronologie des Römischen Reiches lückenlos rekonstruieren! Aber … was ist denn das, diese Glossen am Rand? Ach, machen wir weiter, die werde ich später lesen, es gibt viel zu tun, und in Padua muss ich mich sofort an die Arbeit machen.«
    Mit raubtierhafter Gier griff er nach der nächsten Handschrift und prüfte sie, indem er schwindelerregend schnell über die Seiten flog.
    »Plinius,
Bella germanica
… Der Himmel und alle Heiligen seien für dieses Wunder gepriesen! Hier:
Caput primum
, erstes Kapitel. Ja, alles ist da, wie in meinen Jünglingsträumen. Die Feldzüge gegen die Teutonen, der Kampf mit dem Barbar Hermann, der mit Tacitus Bericht übereinstimmt … aha, hier wieder ein paar seltsame Anmerkungen … Ach was! Machen wir weiter, das kann ich mir später ansehen.«
    Bei der dritten Handschrift stockte die Lektüre jedoch:
    »Martial,
Epigrammata in laude Marcellae
. Haha, jetzt gibt es was zu lachen, ich liebe Martial und den derben Humor dieses heidnischen Sünders! Mal sehen … mal sehen … ah, hier … aber was steht denn da in der Anmerkung?«
    Er drehte die Handschrift auf den Kopf, wendete sie hin und her, als suchte er, in welcher Richtung sie zu lesen sei. Dann hielt er sich die Seite dicht vors Gesicht und las laut, in säuerlichem Ton jede Silbe akzentuierend:
    »
Die Verse, wo er die Hure trifft, korrigieren und verschärfen. Den Teil mit dem Festmahl streichen, den versteht man nicht

    Schoppe runzelte die Stirn und sah uns nachdenklich an. Dann steckte er die Nase wieder in die Handschrift und las weiter in den Glossen:
    »
Hier gefällt er nicht. Niccoli fragen, wo man kürzen kann, denn der Scherz ist schwach

    Er machte eine Pause, dann las er:
    »
Neues Material suchen. Von Villani nehmen

    »Villani? Das kann doch nicht Giovanni sein, der Verfasser von Novellen?«, sagtest du.
    »Natürlich nicht«, antwortete ich, »was hat der Novellist Villani damit zu tun …«
    Schoppe musterte unsere Gesichter mit einer Mischung aus Argwohn und Angst. Er schloss die Handschrift.
    »Ihr habt mich in eine Falle gelockt«, sagte er kalt.
    |673| »Wie bitte?«, fragte dein falscher Barbello verblüfft und entsetzt, da er fürchtete, Schoppe habe aus unerfindlichen Gründen den Verstand verloren.
    Der alte

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