Das Mysterium der Zeit
Legionen geschickter Schreiber instruierten. Welche andere Gemeinschaft verfügt über ein so feinmaschig über die Zeit und den Raum hinweg organisiertes Netzwerk, um ein solches Unternehmen durchzuführen und vor allem zu verdecken?
Die kirchlichen Urheber dieses gigantischen Betrugs zum Schaden der Menschheit müssen sich in der Kabbala sehr gut ausgekannt haben. Denn von ihr stammen die Regeln der Chiffre der Namen.
Wenige Erfinder, viele Ausführende. Doch wie konnten sie die Masse der Geistlichen überzeugen, sich für eine solche Fälschung zur Verfügung zu stellen, die überdies dem christlichen Glauben schadet? Während es nur allzu offensichtlich ist, dass die kirchlichen Initiatoren falsche Christen gewesen sein müssen, ist das von all den Mönchen, die an dem Plan mitgewirkt haben, kaum vorstellbar.
Die einzig mögliche Erklärung wäre, dass den Ausführenden weisgemacht wurde, die Fälschung würde dem Glauben an Christus nützen. Die Fälschung Platons, wenn es eine solche ist, wäre nämlich die Antwort auf eine andere Fälschung gewesen: die des Aristoteles, des Philosophen schlechthin, jener, an den jede andere Lehre sich anpassen muss, wenn sie ernstgenommen werden will.
Ipse dixit
, heißt es, »das hat Aristoteles gesagt, also ist es wahr und braucht keine Beweise«.
Es gibt über tausend Handschriften von Aristoteles und nur 260 von Platon. Bevor Thomas von Aquin einen Kompromiss zwischen der kirchlichen und der aristotelischen Lehre fand, schienen der christliche Glaube und die Lehre des Philosophen, der den Schöpfergott auf die Kraft der Natur reduzierte und die Unsterblichkeit der Seele leugnete, unvereinbar.
Unter den Geistlichen gärte es. Sie kannten die Bibel in- und auswendig, schon längst hatten sie die seltsamen Analogien zwischen Aristoteles |666| und den Sadduzäern entdeckt, jener jüdischen Sekte aus Priestern des Synedrions, die im Laufe von Jahrhunderten viele Anhänger fand: beide leugneten die Unsterblichkeit der Seele, die Auferstehung der Toten, das Ende der Welt, das Schicksal und auch das Eingreifen Gottes in irdische Angelegenheiten. Man musste also einen Philosophen erfinden, älter noch als der von den Sadduzäern erfundene Aristoteles, der diesem widersprach und die Ideen des Christentums vorwegnahm.
Hier liegt ein möglicher Beweggrund für die Erfindung Platons – natürlich nur wenn die Chiffre der Namen keine einfache, unglaubliche Übereinstimmung zwischen Griechisch, Hebräisch und Latein ist, aus der der Name Jesu hervorgeht. Platon verleiht den Eckpfeilern des Christentums philosophische Würde, und mit Platon tun das auch all die orientalischen Lehren, die als vorchristlich ausgegeben werden. Ebenso die Anhänger Platons in den unmittelbar darauffolgenden Jahrhunderten: Plotin und die Neoplatoniker bis zu platonischen Kirchenvätern wie Origenes. Viele von ihnen kommen aus Alexandria in Ägypten, der Geisterstadt, wo sich alles Mögliche unterbringen lässt, denn niemand kann es widerlegen, und auf diesem Gebiet genügt es, etwas zu nehmen, an das alle glauben, seine Echtheit muss nicht bewiesen werden. Nur wenn es falsch ist, muss man das beweisen.
Doch die Erfindung eines Platon als Vorläufer des Christentums wendet sich unerwartet gegen ihre Urheber: Da Platon und andere vor Christus lebten, ist das Christentum eine bloße Kopie!
Saecula saeculorum
wird der christliche Glaube sich nicht mehr von dem Verdacht befreien können, eine Nachahmung der platonischen Philosophie für schlichte Gemüter und Ignoranten zu sein.
Wenn diese Vermutungen über ein Verbrechen ins Schwarze treffen, hat es Aristoteles und Platon niemals gegeben. Sie sind bloße Schatten, Wolken, nützliche Namenshülsen, unter denen im Lauf der Zeit die Arbeiten von Schreiberlingen und Fälschern gesammelt wurden, die angesehene Namen brauchten, um ihre eigenen Ideen in Umlauf zu bringen.
»Seht mal hier unten auf der Seite. Diesen Teil muss Bouchard sofort nach dem Attentat geschrieben haben«, vermutetest du.
Ich wusste, dass ich diesen Weg nicht gehen darf. Aber ich wollte der Angst, Feigheit und Trägheit nicht nachgeben und bin dem Tod entgegengegangen. |667| Ich werde es den Du Puy schreiben. Ich werde sie auf ihr Verbrechen festnageln.
Die Gelehrtenrepublik schweigt, aber die Namen der Fälscher sind allen bekannt. Bis vor dreißig Jahren liefen sie noch unter uns herum. Was das Griechische betrifft, heißen sie Andrea Darmarios, Jakob Diassorinos, Konstantinos
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