Das Mysterium der Zeit
Niccoli, Barbaro und Kumpanen helfen und inspirieren ließ.
Gemeinsam haben sie eine neue Sorte Autoren der römischen Antike erfunden: eingebildete Autoren, wie die der Fälscher Darmarios, Paleokappa und Diassorinos. An den notwendigen Voraussetzungen und Fähigkeiten fehlte es ihnen nicht: Sie konnten antike Schriften des 9., 10. oder 11. Jahrhunderts nachahmen, beherrschten das Latein meisterlich in Vers und Prosa, waren geldgierig und völlig frei von Skrupeln.
weiß schon jetzt, was die Herren Leichtgläubigen sagen werden: Es gibt sehr alte Handschriften aus dem 10. Jahrhundert mit dem vollständigen Quintilian. Das istbekannt, er kennt eine. Um den Anschein zu erwecken, diese (in Wirklichkeit falsche) Handschrift sei jene, die Poggios Kopie als Vorlage diente, hat jemand auf jeder Seite je nach Seitenlänge »25 Zeilen«, »30 Zeilen« und so weiter angemerkt. Der ungebildete und leichtsinnige deutsche Fälscher kannte den Klang des Wortes »righe«, Zeilen, und hat es ohne h geschrieben, also in deutscher Transkription. Er wusste nicht, dass das g, wenn es allein vor dem e steht, weich ausgesprochen wird, und zwar auch zu Poggios Zeiten … Betrügen ist eine italienische Kunst. Poggio und seine Freunde haben sich nicht in flagranti erwischen lassen wie Darmarios und die anderen, in Hirtendörfern aufgewachsenen Fabrikanten hellenischer Attrappen. Die Italiener waren zu vorsichtig, zu feinsinnig, zu erfahren, um die groben Fehler der griechischen Fälscher zu begehen. Sie beherrschten die Kunst der Bestätigung a posteriori: um zu beweisen, dass sie ein Meisterwerk gefunden hatten, das man nur durch Zitate älterer Autoren kannte, fügten sie diese Zitate kurzerhand in den von ihnen erfundenen Text ein. Die Herren Leichtgläubigen, darunter viele Historiker, welche gewöhnlich ängstlich und opportunistisch sind, freuen sich immer, wenn sie Wunder bejubeln dürfen.
Auch Darmarios konnte auf Bestellung antike Schriften fälschen, falsche Werke von Aristoteles, Platon und Euklid schaffen. Doch meist benutzte er gröbere Methoden. So zögerte er nicht, bereits bekannte Werke von zwei oder drei Autoren nebeneinander zu stellen und die |685| Unterschrift eines vierten, von ihm erfundenen Autors hinzuzufügen. Tricks eines ungehobelten Bauern, die nur Verachtung verdienen. Seine dreisten Mystifikationen wurden (obgleich von vielen toleriert und benutzt) enttarnt, als er noch tätig war.
Poggio, Niccoli, Bruni, Barbaro, Guarino und viele andere Italiener waren weit raffiniertere Persönlichkeiten. Poggio war Kanzler der ruhmreichen, mächtigen Republik Florenz, Skribent der Päpstlichen Kanzlei im Rom der großen politischen und theologischen Kontroversen und erlebte nicht weniger als fünf Päpste. Er war selbst ein fruchtbarer und nicht untalentierter Verfasser lateinischer Prosa und Poesie. Er schrieb Schmähreden, Gedichte und beißende Satiren. Er liebte Exzesse und Extravaganzen, verteidigte die freie Liebe und den Geiz, er ging zu Huren, zeugte an allen Ecken und Enden Kinder, diente den Päpsten, hasste aber Ordensbrüder und Frömmler. Seinen Rivalen vermochte er öffentlich die Stirn zu bieten, seinen (wahren oder angeblichen) Feinden konnte er Idiot, Armleuchter, Nervtöter ins Gesicht sagen. Er beherrschte die Kunst, Streitereien zu inszenieren, um Aufsehen zu erregen und Schlafmützen, Bigotten und Einfaltspinseln die Schau zu stehlen. Er hatte begriffen, dass nur die Gerissenen in der Welt vorankommen und scheute sich nicht, dieses Wissen zu zeigen. Er konnte täuschen, sein Glück nutzen, anderen den Weg abschneiden. Er war im deftig-ironischen Geist Boccaccios aufgewachsen. Wie konnte Poggio dem Vorbild des
Decamerone
widerstehen, dem kleinen Universum aus zügelloser Freiheit und raffiniertester Schläue?
hat einige Nachforschungen angestellt. Jahrelang hat sein lieber Freund Cassiano dal Pozzo sich sehr bemüht, den Werken eines gewissen Pirro Ligorio, der im vergangenen Jahrhundert in Rom lebte, Ansehen zu verschaffen. Pirro hatte vielerlei versucht: Er war Künstler, Architekt, er stahl in anderer Leute Gärten vergrabene Statuen, sammelte Gerümpel und Inschriften. Er hinterließ einige schöne Dinge wie die Entwürfe für die berühmte Villa des Kardinal d’Este in Tivoli mit ihren Wasserspielen, den Garten der Monster in Bomarzo und das Nymphäum der Villa Giulia in Rom, doch als er versuchte, den Plan für Sankt Peter in Rom zu verändern, vertrieb ihn der Papst. Seine Zeichnungen der
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