Das Mysterium der Zeit
Überraschung. Eine vertraute Stimme und vor allem eine Ausdrucksweise, die keine Verwechselung zuließ:
»Nimm die Hände von mir, du Hund!«
Caspar Schoppe hielt sich einen aufdringlichen Matrosen vom Leib. Wir waren in zahlreicher Gesellschaft an Bord, das stand mittlerweile fest. Schoppe war also von den Barbaresken gefangen genommen worden. Doch wann und wie?
|711| Wenige Minuten später, Barbara war vor Erschöpfung eingeschlummert, öffnete sich die Tür unseres Käfigs und ein armer Mensch mit geschwollenem Gesicht und blutenden, verkrusteten Wunden am ganzen Körper wurde zu uns hereingeworfen. Der Unglückliche kauerte sich keuchend am Boden zusammen. Es war etwas Vertrautes an ihm. Als unsere Kerkermeister sich entfernt hatten, versuchten wir ihn zu trösten und ihm das Gesicht mit dem Wasservorrat zu waschen, den unsere Wärter uns gelassen hatten.
»Hoffentlich ist es Schoppe und den anderen, wenn sie lebendig hier an Bord sind, nicht so übel ergangen wie diesem Ärmsten«, bemerkte ich, während ich die Stirn des Mannes mit Wasser säuberte.
»Die Armen«, sagte er und schlief schlagartig ein.
Wir zuckten zusammen. Bei diesen Worten hatten wir ihn erkannt: der ehemalige Kommissar von Gorgona war wieder bei uns.
»Was macht denn dieser Wirrkopf hier?«, riefst du aus.
In den folgenden Stunden hörten wir das Echo anderer vertrauter Stimmen. Außer dem Protest von Guyetus auch das weinerliche Stimmchen von Naudé und ein paar Sätze, die direkt aus der unverwechselbaren Kehle von Marcantonio Pasqualini kommen mussten. Dann war Malagigi also nicht untergegangen! Wie sollten wir da nicht auch hoffen, dass Hardouin sich ebenfalls lebend auf dem Korsarenschiff befand?
»Wir haben gar nichts verstanden«, sagtest du.
Die Erklärung lag nahe: man hatte mit uns gespielt wie mit Kindern. Ach, die armen dummen Nazarener! Kemal hatte recht, wenn er uns verachtete. Die Korsaren waren die ganze Zeit über in der Nähe von Gorgona gewesen, sogar auf der Insel selbst, zwei Schritt hinter uns. Sie hatten sich unsichtbar und auf leisen Sohlen bewegt, während wir armen Trottel strauchelten, auf allen vieren krochen, vor Hunger und Durst fluchten und schließlich wie irrsinnige Menschenfresser den Mönch verschlangen, nach dem wir so lange gesucht hatten. Der Wald, den wir durchwandert hatten, die Klippen, die wir hinaufgeklettert waren, die schmutzigen Hütten, in denen wir übernachtet hatten – bei jedem Schritt hatten wir, ohne es zu wissen, den Atem der Korsaren im Nacken gehabt. Der schlagende Beweis? Nachdem Mustafa in Abstimmung mit Kemal seinen Tod inszeniert hatte, hatte er sich sogar noch die Freiheit genommen, seinen weißen Schal zurückzuholen, |712| den er jetzt wieder um den Hals trug. Darum hatten wir ihn in der Nacht, als wir das Boot repariert hatten, nicht mehr an dem Baum gefunden, wo er gehangen hatte.
»Sie haben uns ununterbrochen beobachtet. Wir glaubten allein zu sein, dabei waren sie Tag und Nacht in unserer Nähe. Wie hätten sie sonst die ganze Gruppe entführen können? Überfälle und Entführungen sind schließlich ihre Spezialität!«
»Und warum haben sie nicht auch uns entführt? Sie haben sogar Kemal bei unserer Gruppe gelassen«, wandtest du ein.
»Das ist doch klar«, antwortete ich. »Denk an das Sprichwort von Sertorio: Man kann einem Pferd den Schwanz ausreißen, aber nur, indem man es Haar für Haar tut. Unsere Gruppe war zu groß, um alle auf einmal zu entführen. Es hätte einen Kampf gegeben, vielleicht sogar Tote. Ali Ferrarese wollte auf keinen Fall wertvolle Beutestücke verlieren, die man für einen guten Preis verkaufen kann. Die Barbaresken haben die sicherste Strategie verfolgt, sie haben uns einer nach dem anderen abgeholt. Zuerst hat Kemal den Tod Mustafas simuliert, weil er wahrscheinlich bei den anderen Korsaren, die sich in der Nähe aufhielten, nützlicher sein konnte. Dann haben sie Guyetus abgefangen, als er sich umbringen wollte, und danach Hardouin und Malagigi, während sie ihr Glück auf dem Boot versuchten, und man muss sagen, für die beiden war es besser so. Danach wurden die drei Bärtigen entführt, weil es schien, als befände sich Philos Ptetès unter ihnen, ein Mann, der ein schönes Lösegeld wert sein konnte. Und da sie schon einmal dabei waren, auch den ehemaligen Kommissar, damit die Beute noch fetter würde. Kemal dürfte nicht einmal ein Zehntel der Geschichte von den Handschriften von Poggio Bracciolini verstanden haben, aber
Weitere Kostenlose Bücher