Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Das Mysterium der Zeit

Titel: Das Mysterium der Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Francesco Rita & Sorti Monaldi , Sorti
Vom Netzwerk:
mit Schubkarren transportieren konnte, oder verbot, die Holzdächer der Häuser mit der Axt und die Türen mit der Säge zu bauen.
    Schließlich Aristoteles’ Schriften, die, bevor sie das laizistische Evangelium der Menschheit wurden, sorgfältig in der Erde vergraben, den Würmern zum Fraße dienten. Und schweigen wir lieber vom Ägypter Manetho, der von den Zeiten erzählt, in denen die Wasser des Nils mit Honig gemischt flossen, oder vom Pharao Sesochris, der so groß wie ein Elefant war.

    Zu Tausenden könnte man die Reihe völlig unwahrscheinlicher, aber in das ernste Kleid der Geschichtsschreibung gehüllter Erdichtungen, die uns die Antike überliefert hat, weiterführen. Und Millionen sind die Studenten, die gezwungen waren, sich die griechischen und römischen Geschichtsschreiber, die Autoren dieser für Schwärmer und Leichtgläubige verfassten Kitschromane, |774| einzuprägen. Auch wir haben zu ihnen gezählt, wurden in den besten Jahren unserer Jugend dazu gezwungen, uns die als reine Wahrheit verkauften Legenden mühsam anzueignen.
    Die Liste der Unsinnigkeiten antiker Historiker in Bouchards Aufzeichnungen (Diskurs XXXV und die Notizen zu XXXIX und XLII) ist lediglich eine winzige Auswahl aus dem Meisterwerk des skeptischen Humors, das uns Abt Secondo Lancelotti in
I farfalloni degli antichi historici
, Venedig 1637, hinterlassen hat, in dem sich auch die Titel der Werke und die Nummern der Kapitel, aus denen die Beispiele gezogen wurden, finden lassen.
    Wie der aufmerksame Leser gemerkt haben wird, ist zwischen den vielen unwahrscheinlichen Geschichten, die uns die Antike überliefert hat, nicht nur Platz für die naiven Mythen aus Roms Anfängen, wie die Geschichte der Wölfin, die Romulus und Remus gesäugt hat, oder die epischen Phantasien Homers. Es geht im Gegenteil um ernstzunehmende Geschichtsschreiber wie Tacitus, der uns, nachdem er penibel die ethnischen Gruppen des antiken Germaniens aufgelistet hat, über die sich noch heute Wissenschaftler die Köpfe zerbrechen, versichert, dass die Häuser der teutonischen Vorfahren mit Putz aus Kuhmist gemacht wurden, oder uns von Erdbeben erzählt, die Flüsse in die Luft hoben, sodass Wanderer unter ihnen spazierten. Vor so hanebüchenen Informationen ist es legitim, auf die Bremse zu treten: erst nachdenken und dann, gegebenenfalls, glauben.
    Die Philologie hat es jedoch vorgezogen, die Reihenfolge dieser beiden Handlungen umzukehren, und wurde so zu einer Wissenschaft, die hauptsächlich aus Mutmaßungen besteht. Es war unausweichlich, dass das Pendel einmal die Richtung änderte: vom Höhepunkt des Vertrauens und der Leichtgläubigkeit zum absoluten Misstrauen. Dies geschieht nun bereits seit über drei Jahrhunderten.

    Die gewagte These, dass die gesamte Antike nichts anderes als eine gigantische Fälschung sei, verübt von gelehrten Mönchen des XI. bis XIV. Jahrhunderts, wurde zum ersten Mal vom französischen Jesuiten Jean Hardouin (1646–1729) formuliert.
    Unser Buchhändler Louis Hardouin, eine historische Gestalt aus Fleisch und Blut, war bretonischen Ursprungs und in Paris tätig. Das Kind, dessen Vater er Ende 1646 wird (dies haben wir in dem Roman
Verschleierung
1 , dem Gegenstück zu diesem Buch, erzählt) ist niemand anderer als eben der gelehrte |775| Jesuit Jean Hardouin, geboren am 23. Dezember 1646, der ein berühmter und umstrittener Gelehrter der lateinischen und griechischen Klassiker war.
    Der wagemutige Jesuit hatte keine Gelegenheit, seine Theorie publik zu machen. Einige kleinere Werke wurden in Amsterdam veröffentlicht, vielleicht ohne seine Zustimmung. Aufgrund der heftige Angriffe und Polemiken zwang die jesuitische Gemeinschaft Pater Hardouin aber zu einer Art Abschwörung und stoppte dann die Veröffentlichung seiner Werke. Der größte Teil verblieb also in einem handschriftlichen Stadium, in vielen Fällen schon bereit zum Druck. Hardouins handschriftliche Kodizes werden in der Nationalbibliothek in Paris aufbewahrt (Lateinische Manuskripte 12015, 8799, 8784, 6574, 6573, 3452, 3422, 2746, 1583 sowie 3647, 6216 und 6226A, aufgrund des schlechten Konservierungszustandes nicht einsehbar). Um es jedem interessierten Leser zu ermöglichen, sich ein direktes Bild von den provokativen Ideen Hardouins zu machen, ohne dass sie durch den Filter der Kritik gehen mussten, haben wir die Photographien der Manuskripte auf der Webseite http://www.attomelani.net/index.php/english/mysterium/hardouin-manuscripts/ zugänglich

Weitere Kostenlose Bücher