Das Mysterium der Zeit
uns freundlicherweise geleistet hat.
Hinweis für die Leser: Die Beispiele in Bouchards Aufzeichnungen stammen aus Hardouin, Lateinische Handschrift 6574, Nationalbibliothek Paris (vgl. auch den Link unter www.aufbau-verlag.de ). Wer die Richtigkeit der Hardouinschen Methode überprüfen möchte, sollte also von dort ausgehen. In Hardouins Originalmanuskript werden die Formen auch in hebräischer Schrift wiedergegeben, wir haben sie um der besseren Lesbarkeit willen weggelassen.
|779| Im griechischen Text Platons finden die hebräischen Wörter dank ihres Klangs hinter griechischen Buchstaben verborgen einen Platz (»on« wird beispielsweise zu ων, oder»ja« wird ια geschrieben).
Wie bereits im Diskurs XCVIII erklärt, gilt es, die in den griechischen Wörtern verborgenen hebräischen Wörter aufzustöbern, indem man zum Beispiel einfach transliteriert oder aus den griechischen Wörtern nur die Konsonanten nimmt, da das Hebräische eine Konsonantensprache ist, in der Vokale nicht geschrieben werden. Hat man hebräische Wörter erkannt, berücksichtigt man nur ihre Wurzel, das heißt, man lässt flexierte Formen weg (Konjugationen, Deklinationen usw.). Dann übersetzt man diese hebräischen Wörter ins Lateinische. Der lateinische Satz, der dabei entsteht, wird sich in der lateinischen Fassung der Bibel wiederfinden lassen, und manchmal finden sich sogar dieselben Wurzeln in der hebräischen Fassung der Bibel.
Die syntaktische Struktur des Satzes ist schließlich die eines lateinischen Satzes, der aber mit griechischen Buchstaben konstruiert ist. Der Mechanismus der Verschlüsselung dieser »geheimen Botschaften« ist im Wesentlichen der von Hardouin selbst erläuterte. Wir haben ihn zum Teil in Bouchards Aufzeichnungen wiedergegeben, die unsere Figuren finden, nachdem sie die Titel von Platons Werken gelesen haben. Nach einigem Nachdenken über Hardouins Interpretationen haben wir uns in aller Bescheidenheit erlaubt, gelegentlich in Nuancen von seinen Schlussfolgerungen abzuweichen.
Die Titel der platonischen Dialoge in Bouchards Notizen sind nur einige wenige der tausenden Beispiele, die Hardouin liefert. Es wäre vielleicht angebracht, (vor allem seitens derjenigen, die seine handschriftlichen Werke nicht mit der gebührenden Aufmerksamkeit gelesen haben) den Jesuitenpater vorübergehend von der Anklage, er habe unter Wahnvorstellungen gelitten, freizusprechen, bis weitere Nachprüfungen erfolgen.
Aber angesichts der ungehaltenen Reaktionen, die Hardouins Ideen auch heute noch in akademischen Kreisen hervorrufen, kann man leicht vorhersagen, dass eine ungetrübte und objektive Prüfung seiner Hypothesen wohl niemals stattfinden wird. Wie alle Verfechter extremer Thesen, die für die akademischen Festungen Unannehmlichkeiten bedeuten, ist Hardouin vermutlich dazu verdammt, ein
Paria
zu bleiben (der Ausdruck stammt von dem amerikanischen Wissenschaftler Anthony Grafton, auf den wir weiter unten noch zurückkommen werden).
Es ist aber interessant zu bemerken, dass seit vielen Jahren, ja seit Jahrhunderten zwischen einigen Gelehrten und Populärwissenschaftlern eine Debatte über Thesen stattfindet, die denen Hardouins ganz ähnlich sind, in |780| einigen Fällen sogar noch brisanter – oder absurder, je nach Standpunkt –, und von der die Öffentlichkeit wenig oder gar nichts ahnt.
Die Frage liegt auf der Hand: Wenn Hardouins These stimmt, griechische und lateinische Literatur und Geschichtsschreibung also nur eine riesige Farce sind, müssten dann eventuell auch die Jahrhunderte, in denen die gefälschten historischen Begebenheiten stattfanden und in denen die von den Fälschermönchen erfundenen Poeten und Prosaiker lebten, aus dem Kalender gestrichen werden? Gibt es eine erfundene Zeit? Muss die Geschichte um das ein oder andere Jahrhundert gekürzt werden, vielleicht gleich um mehrere Jahrhunderte?
Die Idee, dass die Zeitrechnung stark »aufgepumpt« wurde, ist nicht neu. Faszinierend ist, dass es nicht nur weltfremde, einzelgängerische Gelehrte wie Jean Hardouin waren, die diese These aufbrachten und vertraten, sondern auch von der internationalen Wissenschaftsgemeinschaft hoch angesehene Astronomen und Mathematiker. In einigen Fällen handelte es sich sogar um eine Teamarbeit zwischen Spezialisten einer oder mehrerer Disziplinen. Die von den Medien allgemein ignorierte Debatte ist spannend und sehr komplex. Hier halten wir nur einige wesentliche Momente fest.
Isaac Newton (1643–1727) war
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