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Das Mysterium der Zeit

Titel: Das Mysterium der Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Francesco Rita & Sorti Monaldi , Sorti
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aneinandergedrängt, all die anderen, die dich vorwärts schoben, um aus der Dunkelheit des Kielraums zu entkommen. Ich öffnete die Falltür und kletterte nach draußen.
    Doch auf die abendliche Dunkelheit war ich nicht gefasst: Der kurze Dezembertag war bereits den nächtlichen Schatten gewichen, die im hellen Mondlicht länger wurden. Sie zitterten im Schein der unzähligen Fackeln in den Händen der Barbaresken, die sich siegesgewiss und drohend überall auf dem Schiff postierten.
    Als meine Augen sich an das schwache Licht gewöhnt hatten, wurde mir klar, dass der Qualm nicht aus dem Kielraum kam. Das Schiff war bedeckt mit schwarzen Säulen aus beißendem Rauch, der sich in alle Richtungen ausbreitete. Sofort begannen meine Augen zu tränen, und die Kehle zog sich mir zusammen. Mir fiel ein, dass ich von dieser Strategie schon gehört hatte: Bevor sie entern, werfen die Barbaresken mit Lumpen und Teer gefüllte Brandflaschen auf das Deck des aufgebrachten Schiffes. Wenn diese Flaschen zerbrechen, verbreiten sie ringsumher einen dunklen, dichten Nebel, der blendet und Erstickungsanfälle hervorruft.
    Eine weitere Brandflasche landete unweit von mir, um sofort ihre teuflische Essenz zu verströmen, und ich wandte mich um. »Atto!«, schrie ich gellend und packte dich an den Schultern, um dich in das |95| Verließ zurückzustoßen, aus dem wir soeben gekommen waren, und mit dir Rosina, von der du dich nicht trennen wolltest. Ich hörte Schreie von einem Ende des Schiffes zum anderen hin und her fliegen. Zwei Bereitwillige rannten an mir vorbei, ohne auf mich zu achten. Der Rücken einer der beiden Männer war blutüberströmt.
    »Bleibt alle im Kielraum und macht die Falltür fest zu, sonst werdet ihr auch dort unten ersticken!«, rief ich, während zwei oder drei Kanonenschüsse meine letzten Silben übertönten.
    Ich kauerte mich auf die Planken, dann kroch ich auf allen vieren, die Augen wegen des beißenden Rauches halb geschlossen, auf den Lärm zu, der sich zu meiner Rechten erhoben hatte. Ich warf einen Blick in den Ruderraum: keiner ruderte mehr. Die meisten Bänke waren leer, auf einigen lagen leblose Körper oder blutende Ruderer. Zwei oder drei hielten einen Kameraden fest und versetzen ihm Fausthiebe in den Bauch, nein, mit Entsetzen gewahrte ich, dass sie ihm mit einem Messer die Eingeweide herausschnitten.
    Ich presste mich auf die Planken, um nicht gesehen zu werden. Vom Antreiber keine Spur. Wo waren der Kapitän und der Mannschaftsaufseher? Und die Matrosen? Mittlerweile umhüllte der dichte Rauch alles, und vom anderen Ende des Schiffs ertönten hinter dem schwarzen Vorhang aus Rauch zwar noch Schreie, doch es waren keine geordneten Befehle mehr, nur noch Kampfgebrüll.
    Mir kamen Erzählungen über die Seeschlachten zwischen den Franzosen und den Spaniern im Meer der Toskana vor einigen Monaten in den Sinn. Eine Kanonenkugel hatte den blutjungen Admiral Maillé-Brezé in zwei Teile gerissen und sein kurzes, ruhmvolles Leben beendet. Wenn man bedachte, dass ich noch vor wenigen Stunden einen der Matrosen mit seinem Kameraden ein Lied hatte singen hören:

    Si tu demandes des heraus
    Qui nous deslivrent de nos maux,
    Les Brezay et les Meillerayes
    Sont les medecins de nos playes.

    Fragst du nach den Heroen,
    Unsren Rettern, wenn Gefahren drohen,
    Brezay und Meillerayes sind die Namen
    Der Ärzte für Wunden an unsren Gestaden.

    |96| Ich schloss einen Augenblick lang die schmerzenden Augen und plötzlich begriff ich, was sich ereignet hatte: ein Teil der Mannschaft, nämlich die türkischen Sklaven, hatte bei der Ankunft der Korsaren gemeutert oder einfach zu rudern aufgehört, um ihren Religionsbrüdern das Entern zu erleichtern und von ihnen befreit zu werden. Und da verstand ich auch, was der alte Seemann gemeint hatte, als er sagte, es sei besser, so wenig Türken wie möglich an Bord zu haben.
    In diesem Augenblick ging eine gewaltige Erschütterung durch das ganze Schiff und gleich darauf hörte man ein ungeheuer lautes Krachen wie von tausend Bäumen, die der Sturm gleichzeitig entwurzelt und umstürzen lässt. Ich versuchte mich an einem Tau festzuhalten, das um den Mast geschlungen war, doch der Stoß war zu heftig gewesen. Ich fiel zur Seite und stürzte vom Deck in den Ruderraum. Das Freibeuterschiff hatte uns gerammt.
    Wir waren in der Minderheit, gewiss, aber warum hörte man keinen einzigen Schuss? Warum verteidigte uns niemand? Wo hatten die französischen Matrosen sich versteckt?

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