Das Mysterium der Zeit
können. Malagigi und Barbello (der dir einen lüsternen Blick zuwarf) gesellten sich zu uns, um uns zu berichten, was sie von einigen Ruderern über das soeben gesichtete Schiff gehört hatten.
»Es ist schon seit einer Weile in Sicht, doch sie haben sich erst jetzt angekündigt, indem sie ihre Fahne gehisst haben. Es ist ein Schiff der Vereinigten Provinzen.«
Tatsächlich erblickte man am Hauptmast die Trikolore – Rot, Weiß und Blau – der Vereinigten Niederlande. Barbello erklärte, es handele sich gewiss um das Schiff einer holländischen Handelsgesellschaft, die Geschäfte mit den jüdischen Kaufleuten von Livorno mache.
Unerwartet übertönte das helle Schmettern von Trompeten das Klatschen der Wellen. Einige unserer Matrosen winkten grüßend mit den Armen.
»Trompeten? Warum?«, fragtest du, hinter mir stehend.
»Das sind Holländer. Sie blasen gerne Trompeten zur Begrüßung«, sagte Malagigi.
|89| Erst kniffen wir die Augen zusammen, um besser sehen zu können, dann nahmen wir ein Reisefernrohr zu Hilfe und erblickten ein Trio kräftiger, junger, blonder Männer, die funkelnde Bucinae in Händen hielten.
Angesichts des freundlichen Grußes der Mannschaft und ihrer Herkunft hatte unser Schiff seinen Kurs noch nicht geändert. Wenige Minuten vergingen, wir wollten uns gerade alle wieder hinsetzen, als wir plötzlich im ganzen Schiff laute Schreie vernahmen. Das unbekannte Schiff hatte die erste Fahne eingeholt und eine zweite gehisst. Die schöne Trikolore der Vereinigten Niederlande war durch ein weit größeres Banner ersetzt worden.
»Der Halbmond, das ist der Halbmond!«, schrien einige Matrosen entsetzt aus vollem Halse. Das Zeichen war ebenso unmissverständlich wie der Betrug: Es waren Korsaren aus der Berberei.
Die Männer der Mannschaft, die in den ersten Augenblicken nach dem Wechsel der Fahne wie gelähmt vor Angst auf das unbekannte Schiff gestarrt hatten, setzten sich nun nach allen Seiten in Bewegung. Aus unerfindlichen Gründen wurde das zusätzliche Beiboot, das wir hinter uns herzogen, an die Seite unseres Schiffs geholt, indem das Tau verkürzt wurde. Dann ertönte der erste Kanonenschuss. Die feindliche Kugel, vom Buggeschütz des Piratenschiffs abgefeuert, versank in beträchtlicher Entfernung zu unserem Schiff im Wasser und ließ eine hohe Fontäne aus Gischt aufsteigen. Noch war der Abstand zwischen uns und den Verfolgern groß genug, doch der kräftige Wind trieb sie rasch auf uns zu. Die Piratenfahne zeigte drei Halbmonde, unter denen eine Zeichnung oder vielleicht ein arabischer Schriftzug prangte.
Die Galeere nahm volle Fahrt zur Flucht auf. Mehrmals ließ unser Galeerenaufseher die Peitsche knallen, dabei wechselte er heisere Schreie und frenetische Gesten mit dem Steuermann. Ein Offizier tauchte auf, atemlos, mit gerötetem Gesicht, und befahl allen Passagieren, in den Kielraum hinunterzusteigen.
»Abwerfen, wir müssen abwerfen!«, riefen einige Offiziere teils auf Französisch, teils auf Italienisch aus.
Sofort verwandelte sich die große Aufregung an Bord in ein Chaos. Denn dieser Ruf bedeutete, dass alle Waren und Gegenstände, die das Schiff beschwerten, ins Meer geworfen werden mussten, um das Schiff schneller zu machen. Und da keine Zeit zum Überlegen blieb, |90| warfen einige auf dem Deck stehende Matrosen bereits wahllos Gegenstände aller Art über Bord: ganze Stapel Kisten und Truhen, Bündel mit Brennholz, Wasserkrüge, Weinflaschen, Nahrungsvorräte und tausend andere Sachen, darunter gewiss auch wertvolle, die ich in der verzweifelten Konfusion jener Momente nicht mehr unterscheiden konnte. Wenn man uns gefangen nahm, würde ohnehin kein einziger Gegenstand mehr in den Händen seines rechtmäßigen Besitzers bleiben.
Nur die mit Wachstuch bedeckten riesigen Ballen, von denen große Mengen im Vorder- und Achterschiff lagen, wurden aus unerfindlichen Gründen an ihrem Platz gelassen.
Inmitten eines unbeschreiblichen Durcheinanders aus Schreien und fieberhaftem Hin und Her eilten alle in ihre Unterkünfte, um die kostbarsten Gegenstände in Sicherheit zu bringen, da sie fürchteten, ihre Habe würde früher oder später im Wasser landen.
Zuletzt stürzten wir alle miteinander die Leiter in den Kielraum hinunter und schlüpften mit den anderen unter Deck. Du eiltest sofort zu Rosina und legtest deinen Arm um ihre Taille, um ihr bei der Flucht zu helfen. Nur Schoppe schien sich um seine Sicherheit nicht zu bekümmern. Wir sahen ihn aufgeregt mit einem
Weitere Kostenlose Bücher