Das Mysterium der Zeit
Geschichte der Bibliothek von Alexandria, des ägyptischen Nationalstolzes, deren Ruinen und Handschriften nie gesehen wurden, ist ein eklatanter Fall.
Wenn es anders wäre, wäre es für die Institute der Universitäten natürlich sehr schwer, öffentliche und private Gelder für die wissenschaftliche Forschung herauszuschlagen. Auch das muss verstanden werden.
Doch wer von uns hätte damals, als wir es in der Schule behandelten, geahnt, dass das Gastmahl des Trimalchio nicht das Werk eines gewissen Petronius sein könnte (vgl. das dem
Satyricon
gewidmete Kapitel), ja dass, als es entdeckt wurde, sofort auf mehreren Seiten laut der Vorwurf einer groben Fälschung erhoben wurde? Obwohl unsere Lehrer uns sagten, die Philologie rege den kritischen Sinn an, hat uns niemand vor ihren Fallen gewarnt.
|793| Geschichte und Fiktion
Auch wenn der enge Kreis der Spezialisten es für sich behält, wissen selbst die »orthodoxen« Philologen, (und nicht nur die Erneuerer der »kritischen Chronologie«) sehr wohl, wie verwickelt, umfassend und brisant das Problem des Unterschieds zwischen Fiktion und antiker Geschichte und der Trennung von Wahrem und Falschem seit jeher ist. In der uralten Debatte mag es hilfreich sein, hier eine jüngere Stellungnahme anzuführen.
Glen Bowersock, Dozent am renommierten Institute for Advanced Study in Princeton, stellte die Situation deutlich dar (
Fiction as History: Nero to Julian
, London 1994, S. 14): »Für jede konsequente und überzeugende Interpretation des Römischen Reichs stellt sich klar heraus, dass die erfundene Literatur als Teil seiner Geschichte anzusehen ist. Für die Antike wäre dies keine sonderlich überraschende These gewesen, da sie nur eine ungenaue Unterscheidung zwischen Geschichte und Mythos machte und nach Cicero die Geschichte als
opus oratorimu
– als ein rhetorisches Werk ansahen […] In den erdichteten Erzählungen gab es ebenso viel Wahrheiten und Unwahrheiten wie in der Geschichte selbst.« Und weiter (ebd. S. 11): »Homer, Herodot, Ktesias, Xenophon […] und viele andere fesselnde, aber absolut unglaubwürdige Erzähler waren der Antike über Jahrhunderte sehr vertraut.« Aber trotz der Proteste derjenigen, die »ihre Wahrhaftigkeit verteidigten, indem sie die Absurdität der griechischen Erzählungen anklagten, schien die Erfindung kein Problem darzustellen. Im ersten Jahrhundert konnte Cicero Herodot ruhig zum Vater der Geschichtsschreibung ausrufen, um ihn dann als Erfinder zahlreicher phantastischer Erzählungen anzuprangern. Die Geschichte war einfach zur Handlung geworden – zu dem, was passiert war und dem, wovon man sagte, es sei passiert.«
Wie man sieht, hat die moderne Philologie die Überlagerung von Geschichte und Mythos durchaus zur Kenntnis genommen. Von der Fiktion trennen uns keine klaren Grenzen, und es wird auch nie anders sein können. Grob gesagt: Wie sind in keiner Weise verpflichtet, der antiken Geschichte zu glauben.
Man beachte, dass es sich bei Bowersock nicht um einen isolierten Provokateur handelt, sondern dass er ein anerkannter Vertreter des philologischen Establishment ist, der weder durch unorthodoxe oder revolutionäre Thesen auf sich aufmerksam gemacht noch Kontroversen ausgelöst hat.
Was die griechische Geschichte angeht, sollte jeder das schmale, aber reichhaltige Büchlein von Luciano Canfora lesen,
Prima lezione di storia greca
|794| (Rom-Bari 2000), in dem der angesehene italienische Gräzist, ohne destruktive Thesen aufzustellen, die unüberwindlichen Grenzen bei der historischen Rekonstruktion der griechischen Antike darlegt (fragmentarischer Charakter der Überlieferung, lügenhafte Berichte der Geschichtsschreiber, unzuverlässiger, akritischer Gebrauch der Quellen, unzählige falsche Handschriften und Inschriften, verschwundene Archive). Hier ein Zitat (S. 35) voll subtiler Ironie: »Wir sehen, wie reichlich Aristoteles und seine Mitarbeiter auf Dokumente zurückgriffen. Und dasselbe kann man von Plutarch sagen, von dem uns zum Glück viel überliefert ist. Sicher, auch sie schossen mal einen Bock. Manchmal fragen wir uns, ob die Fabrik der Fälschungen nicht auch sie getäuscht hat. Und es ist verblüffend zu sehen, dass Aristoteles zwei lange Schriftstücke übertrug – die zwei »Verfassungen der Vierhundert«, die »für die Gegenwart« und die »für die Zukunft« – von denen niemand beschwören würde, dass sie jemals existiert haben.«
Wenn wir den Schätzungen Felix Jacobys vertrauen wollen,
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