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Das Mysterium der Zeit

Titel: Das Mysterium der Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Francesco Rita & Sorti Monaldi , Sorti
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griechischen Prosaikern, die es in die Lehrbücher schafften und sich dann als Ergebnis einer Fälschung herausstellten, zahlreich: erfundene Werke, fiktive Titel, inexistente Verfasser. Bis zu ihrer Entlarvung wurden über diese Phantomautoren Berge von Literatur geschrieben, und Studenten legten an den Universitäten Prüfungen über sie ab.
    Die Fälscher und Synkellos
    Das tatsächliche Ausmaß der Erfindungen griechischer Fälscher des 15. Jahrhunderts, wie Andreas Darmarios, Jakob Diassorinos, Costantinos Paleocapa oder Angelus Vergetius, ist nicht bekannt. Es ist nicht klar, wie weit sie gegangen sind, wie viele und welche Werke noch Frucht ihres »kreativen« Talents sein könnten. Wichtig ist festzuhalten, dass diese regelrechten Fälscherbanden ungestört durch das Europa des 16. Jahrhunderts zogen, also gerade in einer Zeit, in der man bedeutende Handschriftenfunde machte, die dann in die gedruckten Editionen vieler Autoren mündeten. Die Schreiberlinge waren so versiert, dass sie drei verschiedene Stile gleichzeitig verwenden konnten und sich damit schwer »aufspürbar« machten (vgl. N.G. Wilson,
A puzzle in stemmatic theory solved
, in: »Revue d’histoire des textes«, IV (1974), S. 139–142). Trotz des schlechten Rufs, der Andreas Darmarios umgab, nutzten die angesehensten Gelehrten seiner Zeit, wie Casaubon, Augustín, Schott und andere, seelenruhig seine Dienste. Die von Diassorinos im 16. Jahrhundert koordinierten Fälscher katalogisierten den großen Fundus der griechischen Handschriften in der Nationalbibliothek zu Paris: Also könnten die später erstellten Kataloge wer weiß wie viele falsche oder irreführende Angaben (und Werke) geerbt haben. Außerdem darf nicht vergessen werden, dass diese geschickten Fälscher massiv im Bereich der byzantinischen Chroniken operierten, ausgerechnet der Richtung, der die Chronik von Synkellos angehört. Dessen wichtigste Handschrift, die auch als einzige die Geschichte vom Ursprung |790| der Welt enthält, wurde wahrscheinlich nicht zufällig unter äußerst fragwürdigen Umständen von Isaac Casaubon aufgespürt.
    Casaubon entdeckte den Synkellos nämlich in der königlichen Bibliothek zu Paris, kurz nachdem er eine dringliche Nachfrage von Scaliger erhalten hatte, der auf der Suche nach »frischen« historischen Quellen für die Fertigstellung seiner zweiten Arbeit zur Chronologie, dem
Thesaurus Temporum
, war. Die beiden offiziell auf das elfte Jahrhundert datierten antiken Handschriften von Synkellos wurden unter nicht ganz geklärten Umständen nach einem seltsamen Winterschlaf von etwa fünfhundert Jahren wiedergefunden – die erste von Casaubon zu Beginn des 17. Jahrhunderts, die zweite im Laufe desselben Jahrhunderts.
    Die Verrenkungen der Philologie
    In Wahrheit geht die moderne Kritik viel nachlässiger als das 16. Jahrhundert mit dem Begriff der Fälschung um. Nicht alles, was vom gesunden Menschenverstand abgelehnt wird, wird auch von der Philologie verworfen. Hat sie eine schwer zu verteidigende Schrift vor sich, greift sie auf das zurück, was Luciano Canfora »Verrenkungen« nennt. Ein typisches Beispiel ist das der sogenannten Enmannschen Kaisergeschichte. Gegen Ende des 14. Jahrhunderts bemerkte der deutsche Historiker Alexander Enmann, dass zwei Geschichten Roms, die von Aurelius Victor und die von Eutropius, viele auffällige Elemente gemeinsam hatten, darunter bemerkenswerte Einschätzungen, aber auch grobe Irrtümer. Es schien offensichtlich, dass Aurelius Victor von Eutropius abgeschrieben hatte – was aber nicht möglich war, da die Schriften von Eutropius jüngeren Datums waren. Man hätte daraus schließen können und müssen, dass eine Fälschung stattgefunden hatte. Dass beispielsweise die Werke nicht zu dem Zeitpunkt verfasst worden waren, der aus den historischen Quellen hervorging, oder dass eines der beiden nicht echt war. Eine Alarmglocke hätte spätestens schrillen müssen, als bekannt wurde, dass sich Teile des bei Eutropius und Aurelius Victor eingeflossenen Materials auch in der
Historia Augusta
, einem bekannten Falsifikat des späten Römischen Reiches, finden ließen.
    Was tat Enmann stattdessen? Er erklärte die Ähnlichkeiten bei Eutropius und Aurelius Victor, indem er eine noch ältere gemeinsame Quelle erfand, eine dritte Chronik der römischen Imperatoren, auf die beide Verfasser angeblich zurückgegriffen hatten. Damit waren die Ähnlichkeiten zwischen Aurelius |791| und Eutropius erklärt und die

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