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Das Mysterium der Zeit

Titel: Das Mysterium der Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Francesco Rita & Sorti Monaldi , Sorti
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entblößen, ohne sich entwürdigt zu fühlen?
    Der Grund ist, dass ein Hinterlader zu sein in Florenz gerade wegen der Medici als etwas Schönes, Wünschenswertes, ja höchst Ehrenhaftes galt. Diese Aufwertung der Männerliebe wurde mit den Waffen einer nur scheinbar entlegenen Wissenschaft bewirkt: der Philologie, also dem Studium literarischer Texte der Antike.
    In Florenz hatte nämlich der Dichter Agnolo Poliziano gelebt, der Begründer der modernen Philologie. Poliziano war allseits als Invertierter und Knabenliebhaber bekannt, was klar aus seinen Werken hervorgeht. In seinen griechischen und lateinischen Gedichten schmachtete er die Jünglinge Coridone und Biondo Ricciolino an, und besonders gern enthüllte er die sodomitischen Neigungen berühmter Freunde wie Botticelli und Donatello. Trotzdem hatte Lorenzo de’ Medici ihn als Lehrer seiner Söhne angestellt und ihm den Lehrstuhl für klassische Literatur, besonders der griechischen, in Florenz übertragen.
    Poliziano hatte eine neue Methode für das Studium antiker Texte |35| erfunden: Er rekonstruierte den Stammbaum aller überlieferten Handschriften, um herauszufinden, aus welchen Quellen sie kopiert wurden, und ihre Überlieferungsgeschichte nachverfolgen zu können.
    Seine Methode hatte ihm Lob und Ruhm in ganz Europa eingebracht (obwohl es nicht an Kritikern mangelte, die ihn des Plagiats und schwerer Fehler bezichtigten), und so wurden das Banner der Gelehrsamkeit und jenes der Perversion von ein und derselben Hand hochgehalten. Poliziano und seine Kumpane erklärten, dass der große Gaius Maecenas, Freund des Kaisers Augustus, der Vergil und Horaz ernährte, ein Päderast gewesen sei. Sie schworen, Alexander der Große habe Hephaistion und den Eunuchen Bagoas zu seinen Geliebten gemacht. Die
Historia Augusta
, die doch alle als Fälschung kannten, behauptete, Kaiser Hadrian habe seinen Antinous so geliebt, dass er ihn zum Gott erklärte, als der Junge starb.
    Von den Namen Rom und Athen magisch berührt wie durch die verzauberte Hand des König Midas, hatten Männerliebe und Päderastentum sich in Gold verwandelt. Seither regiert die Sodomie unangefochten, sie lässt sich sogar Pädophilie nennen, Liebe zu Kindern, obwohl sie doch deren schlimmste Feindin ist.
    Dies war das Ziel, das die Dilettanten der perversen Liebe unverhofft erreicht hatten: Sich von hinten bedienen zu lassen war eine heroische Tat geworden, die mit Lorbeerkranz und Leier in der Hand zu vollführen war.
    Noch konntest du es nicht wissen, mein junger Atto, doch das Abenteuer, das uns erwartete, sollte uns lehren, wie falsch diese vermeintliche antike Welt war und wie geschickt sie konstruiert worden war, um in unserer und in zukünftigen Zeiten die Seelen zu verderben.

    Es ist eine dumme und feige Angewohnheit der Sodomiten, alle anderen Menschen und Dinge in den Schmutz des Lasters, mit dem nur sie sich besudeln, hineinzuziehen, damit in der Nacht der Sünde alle Katzen grau seien.
    Damit also der Abscheu, den das widerliche Treiben der Sodomiten beim Volk erregte, ihm nicht schadete, zumal dieser Abscheu immer wieder in Rebellionen umzuschlagen drohte, ließ der Großherzog, wie schon seine Vorfahren, das Gerücht verbreiten, ganz Florenz, |36| ja die gesamte Toskana sei voller Päderasten. Keiner entkam dem Verdacht, wenn man den Klatschgeschichten glauben durfte, die von Verleumdern im Sold der Medici geschickt ausgestreut wurden. Neben den wahren Geschichten um männliche Liebschaften, die man sich im engsten Kreis der Medici erzählte, wurden frei erfundene Ammenmärchen über die gesamte Bevölkerung von Florenz und der Toskana in Umlauf gebracht, welche umso mehr Glauben fanden, je abstruser und übertriebener sie waren.
    Niemand wagte es mehr, mit dem Finger auf die echten Sodomiten zu zeigen, die Herren der Stadt und ihre Kumpane Botticelli, Donatello, Michelangelo, Benvenuto Cellini, Pulci, Poliziano (der sogar Lehrer der Söhne von Lorenzo dem Prächtigen war) oder Machiavelli, den berühmten Secretarius der Republik Florenz. Sogar mit den Namen, die sie sich gaben, schufen sie sich dreist ein Schandmal ihrer Praktiken, wie Giovan’Antonio Bazzi, der Maler aus Siena, der sich Sodom nannte, damit ihm die Jungen zuliefen.
    Hast du einmal das Gesicht des Botticelli in seiner Anbetung der heiligen drei Könige gesehen? Natürlich hast du es gesehen, mein lieber Atto, und ich weiß es, denn an dem Tag warst du in meiner Obhut. Am rechten Bildrand konntest du das

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