Das Mysterium Des Himmels
Wurde das Boot immer schneller? Er richtete sich auf und schaute auf das Wasser, das sich gurgelnd und reißend gegen das Schiff wendete. Er hatte nicht das Gefühl, dieser kleine Kahn böte ihm genügend Schutz. Aus dem Wald des nahen Ufers hörten sie den langgezogenen Ruf eines Wolfes. Nun war auch Irscha wach und riss vor Schreck die Augen auf.
Ekuos ritt quer durch den dichten Wald und erreichte eine Lichtung. Aber dort entdeckte er nichts. Also ritt er weiter und fand Kida die Wölfin vor einer Höhle an einem Berghang, der zur Flussniederung leicht abfiel. Er musste sich nicht davon überzeugen, dass in dieser Höhle die Feinde mit Atles und den Freunden ein Versteck gefunden hatten. Ekuos schaute auf Kida und bemerkte ihre Unruhe. Immer wieder stellten sich ihre Haare auf und sie hielt die Nase in den Wind. Er führte sein Pferd in den Wald zurück und lief zu einem Stein, auf den er sich setzte. Dann hob er die Hände zum Licht und legte sie auf seine Lider.
»Hüte dich davor, den Dingen mit aufwallender Hitze hinterherzujagen. Das Licht des Tages kommt und wenn es wieder geht, ist es einerlei, ob du dich vorher abgehetzt hast. Nur einen hellen Gedanken hast du dabei sicher nicht gefunden. Woher willst du wissen, warum du an dem Ort bist, wo du dich befindest? Wer weiß, warum am Abend die Wiesen duften und die Vögel schweigen? Ihr redet, aber ihr sagt nichts. Ihr handelt, aber ihr denkt nicht. Eure Augen starren und sie sehen nichts. Doch du musst wissen, die Große Sonne erwartet von dir, dass du eintauchst in das Wissen und sich deine Blicke an das Licht des Himmels gewöhnen, denn was bist du sonst? Suche nichts, und du wirst finden, weil die Götter dich lenken werden.«
Als Ekuos die Augen wieder öffnete, war Kida die Wölfin verschwunden. Hatten die Götter durch Kida zu ihm gesprochen? Er ging zur Höhle hinüber und fand eine erloschene Feuerstelle in ihrem Inneren. Er ritt langsam aus dem Wald hinaus und fand Matu, der an der Straße gewartet hatte. Ekuos fragte sich, ob er dem Wagenzug folgen oder für sich bleiben sollte. Er hatte keine Antwort. Als Seher durfte er nicht so dicht bei den Menschen sein. Aber hatte er nicht auch die Pflicht, dass er den Bruder und die Freunde suchte und fand? Wenn die Götter und die Große Mutter zu ihm gesprochen hatten, würde dann etwas geschehen?
Ekuos blieb die Nacht über am Wasser und ließ Matu am Ende des Wagenzuges schlafen, damit ihm niemand zu nahe kam. Vorsichtig atmend, um die Nacht nicht zu stören, hockte er auf einer Matte und schaute hinüber, über die vorderen Wälder hinweg, zu einem Hügel, der sich in der Nähe auftürmte und mit einem spitzen Felsstück als Krönung versehen war. Dort oben erkannte er im Mondlicht Kida die Wölfin. Wie eingehüllt vom Licht der Göttin der Nacht stand sie da und warf ihren Kopf in den Nacken. Hören konnte er sie nicht, aber er vermutete, dass sie die Klagen der wissenden Menschen hinauf in den Himmel schickte und um Antwort bat.
Gegen Morgen sah Ekuos ein lächelndes Kindergesicht am Himmel aufscheinen, wie durch einen Türspalt spähend, kurz bevor das reine Schimmern zum Licht wurde. Ein erster Sonnenfleck tanzte auf dem Wasser der Danau. Er musste sich zunächst an den Himmel gewöhnen. Das Licht irritierte ihn noch. Es folgte der Sonnenaufgang über den bewaldeten Hügeln. Er griff in das feuchte Gras und schaute in die Luft. Die ersten Wolken wanderten langsam durch den beginnenden Tag. Ekuos lief zu Matu, griff sich sein Pferd und ritt davon. Ruhig floss der Fluss, Vögel schwebten heran und Fische sprangen aus den Fluten. Ein heftiger Wind setzte ein.
Als sie die ersten Häuser auf der anderen Flussseite sahen, verließen sie die breitere Straße und bogen in einen Weg ein, der wieder direkt an das Wasser heranführte. Ekuos sah Menschen am Ufer stehen und sie schauten auf vier tote Körper, die vor einem kleinen Haus auf Tischen lagen. Sie wollten die Toten über den Fluss, hinüber nach Radasbona, bringen, wie sie Matu mitteilten. Ekuos ließ die Wagenkolonne stoppen. Bevor die Toten nicht in der Erde ruhten, durften keinerlei Tätigkeiten ausgeübt werden. Ekuos legte seinen weißen Umhang über die Schultern, die Farbe der Trauer. Er nahm zwei Eimer, lief an das Wasser und füllte sie. Er spülte das Haus aus, denn Seelen können Wasser nicht überqueren. Um die Toten stellten die Leute gefüllte Wassereimer auf. Die Tür des Hauses wurde fest verschlossen. Feuer wurden angezündet,
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