Das Mysterium Des Himmels
allein. Weil er ein Seher war, durfte niemand ihn berühren. Er wusste nichts von den Dingen, die eine Frau und einen Mann binden. Er spürte nur, wie sich alles in ihm zu drehen begann, wenn er daran dachte. Dann war es so, als wäre er körperlos und schwebend. Mit tränenden Augen blinzelnd, erkannte er Baumwipfel und den nahen Waldrand, auch die graue und schmutzige Straße vor ihm. Endlich war sie da, die Sonne. Ekuos öffnete sich wieder und sah in ängstlich erstaunte Gesichter, die ihn anstarrten. Wo war er gewesen?
Matu brachte ein schneeweißes Pferd heran. Die Tochter der Kij ritt es nicht mehr. Nur einer wie Ekuos sollte ein weißes Pferd reiten dürfen. Alle spürten, dass mit ihr etwas geschehen war, aber niemand hatte eine Antwort darauf. Viele schworen, sie hätten am Himmel einen grünen Wolkenstreifen gesehen, auf dem Verstorbene wandelten, an die sie sich schon lange nicht mehr erinnert hätten. Das Wort ›Woche‹ wurde beständig wiederholt, aber niemand konnte etwas anderes damit anfangen, als was seine Bedeutung sagte. Acht Tage! Und dann?
Das Land beugte sich, erhob sich wieder, und die Gruppen bei den Wagen erlebten ein Auf und Ab, bevor der Regen begann. Schnell waren die Wege durch das Wasser fast unpassierbar und sie mussten den Wagen mit den Knüppeln vorausschicken, damit die Straße mit ihnen belegt und befahrbar gemacht wurde. Dann schien es so zu sein, als würde es sich nicht mehr ändern. Das Wasser schwappte nur so über die Wege und bald schon geriet die Wagenkolonne immer mehr in Schwierigkeiten. Er ist schuld, wurde hinter dichten Mundtüchern geflüstert, und jeder wusste, wer damit gemeint war. Er hat gegen uns das Böse aus dem Himmel gelockt und die Große Mondin hinter der Sonne herjagen lassen, wie man es mit einem Hund macht, der einen Hirsch angreifen soll. Er ist unser Unglück.
Matu erkannte im Gegensatz zu Ekuos die Gefahr. Die lange Fahrt stand bisher unter ungünstigen Sternen und zuletzt hatten sie es mit Toten zu tun gehabt, von denen niemand wusste, warum und woran sie gestorben waren. Sollten sich die Fuhrleute und ihre bewaffneten Begleiter zusammenrotten, war eine Gegenwehr sicher nicht erfolgreich. Matu bedrängte das Pferd von Ekuos und sofort nahm es ein so hohes Tempo auf, dass er selbst kaum folgen konnte. Ekuos reagierte zwar auf die neue Situation, aber mit seinen Gedanken war er nicht anwesend.
Sie musste sich entscheiden. Die Tochter der Kij brauchte nicht lange, um diese Entscheidung zu treffen, die ihr Leben endgültig und völlig verändern würde. Sie suchte drei ihrer verlässlichsten und treuesten Begleiter aus und folgte Ekuos nach.
Als sie Sorviodurum erreichten, hatte der Regen aufgehört. Der Ort lag dicht am Fluss und viele der Häuser waren erst kürzlich erbaut worden. Amadas saß am Ufer und lauschte den Wellen. Inzwischen dachte er, die Danau sprach mit den Menschen, aber niemand konnte sie verstehen. Die Strömung lief sanft über den Ufersand und Amadas rieb sich die lädierte Schulter. Man hatte ihn nicht eben fein am Ufer ausgeladen. Die Schiffsleute hatten auf diese rüde Weise seine Fragen zu den Entführten beendet, die er auf zwei Kähnen entdeckt hatte. Es waren junge Burschen, die ihn sofort an Atles und seine Freunde denken ließen. Doch hier in Sorviodurum gab es keinen Platz, an dem diese Gefangenen untergebracht worden waren. Als er seinen Kopf hob, sah er Ekuos und Matu in den Ort reiten. Ihnen folgten eine Frau und drei weitere Männer mit langen Schwertern.
»Aus roten Wolken stürzt es hinab und die Erde wird sich öffnen.«
Amadas sah Ekuos überrascht an, aber der hatte gar nicht zu ihm gesprochen. Ekuos lief zu einem alten Baum und setzte sich dort nieder. Matu betrachtete Amadas und die vielen Menschen, die arbeitsam durcheinanderliefen.
»Sie bauen eine neue Stadt«, sagte Amadas, der endlich wieder zu einem Gespräch kommen wollte. Zuletzt hatte er es auf dem Schiff nicht einmal mehr gewagt, mit Irscha zu reden. Der war beileibe nicht sehr gesprächig gewesen, als er die entmenschte Reaktion der Schiffsleute gegen andere bemerkt hatte.
»Sorviodurum«, antwortete Matu, der einen Nachbarn aus einer ihrer heimatlichen Siedlungen entdeckt hatte und ihn begrüßte. Der Mann wiederholte den Namen des Ortes ohne Unterlass, so als hätte er ein Wunder erlebt. Aber er erzählte ihm, wie er an diesen Ort gekommen war und das interessierte Matu, denn der Mann war von einem Boot in das Wasser gesprungen
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