Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Mysterium: Roman

Das Mysterium: Roman

Titel: Das Mysterium: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Titus Müller
Vom Netzwerk:
Vater gehabt. Aber glaub mir, ich werde tun, was ich kann, um alles wiedergutzumachen.«
     Er sah zu Boden. »Ich habe dich lieb. Das weißt du.«
    Sie nickte.
    |331| Sie gingen weiter. Wie sollte sie Abschied nehmen, wenn sie nicht wußte, wohin die Reise führte? München war die einzige Stadt,
     die sie kannte. Sie konnte sich nicht vorstellen, die Krämerläden und die Gasse der Lederer nie wiederzusehen, durch die sie
     gerade liefen. Das Straßenpflaster – würden ihre Füße es nie wieder berühren? Würde sie nie wieder die Badestuben aufsuchen
     und mit Sieglinde scherzen? Würde sie nie wieder den Einarmigen ihren Lieblingsbettler nennen und ihm ein Brot zustecken?
     Nie wieder die Peterskirche betreten und in den kleinen Kapellen der Patrizierfamilien zwischen den Strebepfeilern beten?
     Würde sie nie sehen, wie die Kirchtürme fertiggestellt wurden?
    Ein Käuzchen rief. Die Stadt war so still! Es war, als hielten Menschen und Tiere den Atem an. Die Nacht hatte etwas Unwirkliches,
     Alptraumhaftes an sich. Hatte die Stadt sie und Vater nicht längst verstoßen? Das Lagerhaus war doch ein Teil von ihr, wer
     sollte denn die Spinnweben entfernen und es ausfegen, wenn nicht sie? Wer sollte heimlich an die alte Kirchenglocke klopfen
     und ihrem Klang nachlauschen?
    Aus dem Wirtshaus Krug drangen Männerstimmen. Warmes Licht fiel durch die Ochsenhautfenster auf die Straße. Dort gab es noch
     Leben. Sicher waren Männer in der Trinkstube, die Vater kannten, Männer, die vor einigen Wochen noch ohne mit der Wimper zu
     zucken angepackt hätten, wenn es galt, einen von Vaters schwerbeladenen Handelskarren aus dem Morast zu ziehen. Aber die Macht
     des fremden Inquisitors lähmte die Stadt. Niemand half Familie Neuhauser.
    Sie bogen in die Sendlinger Straße ein. Menschenleer lag sie da. Ohne die Verkaufsstände wirkte sie geisterhaft. Am Tage gab
     es hier kaum ein Durchkommen, jetzt aber glänzte der Widerschein der Sterne auf dem Pflaster, und der Weg war frei, alles
     schien größer zu sein, die Nacht machte aus der Straße einen Palastweg.
    Hundegebell. Mathilde schrak zusammen. Das Tor zu ihrer Rechten bebte, der Hund warf sich von innen dagegen. Er |332| bellte zornig. Witterte er, daß sie einen Geflohenen aus der Stadt brachte? Vater beschleunigte seine Schritte. Er keuchte.
    Erst als die mächtigen sechseckigen Flankentürme des Sendlinger Tors in Sichtweite kamen, gab der Hund hinter ihnen wieder
     Ruhe. Sie hatten es fast geschafft. Sie flüsterte: »Vater, ich hätte Pferde mieten sollen. Wie sollen wir weit genug kommen,
     bevor der Morgen graut? Man wird uns einholen!«
    »Man hat uns noch gar nicht verloren.«
    Sie drehte sich um. Niemand war zu sehen.
    Sie traten auf das Stadttor zu. Es war hoch wie ein Turm, als sei es gebaut, damit Riesen hindurchgingen. In den Schießscharten
     der Flankentürme brannte Licht. Die Wächter waren auf der Hut. Waren die Tore nicht immer ein Schutz gewesen? Sie hinderten
     Räuberbanden daran, sich nachts in die Stadt zu schleichen, sie hielten im Winter die Wölfe fern und im Sommer die Diebe.
     Jetzt aber waren es Gefängnistore. In der Stadt war Vater des Todes. Dort draußen war die Welt, in der er weiterleben konnte.
    »Heda«, rief Vater, »Wache!« Seine Stimme war dünn geworden, er klang wie ein alter Mann.
    Ein Wächter trat mit einer Fackel aus dem rechten Turm. »Was habt Ihr zu vermelden? Ein Feuer?«
    »Wir suchen einen Diener Amiels.«
    Der Wächter nickte. »Ihr seid es. Kommt mit.« Er führte sie in den Turm. Steinerne Stufen ging es hinauf. Bald konnte der
     Vater nicht mehr. Er stützte sich an der Wand ab, tat so, als würde er aus einer der Schießscharten spähen. In Wahrheit aber
     mühte er sich, Atem zu schöpfen. Der Wächter wartete.
    In der Ferne Hundebellen. War das derselbe Hund? Ihre Verfolger mußten an seinem Tor vorübergekommen sein. Der Wächter brachte
     sie durch eine Tür auf den Wehrgang hinaus. Mathilde blickte hinab in den Hof zwischen den zwei Stadttoren, es war tief, ein
     Fehltritt genügte, und sie stürzten in den Tod. Der Wächter ging nach vorn zum Haupttorturm. Dort gab er ihr die Fackel in
     die Hand. »Nehmt sie einen Augenblick.«
    |333| Mathilde hielt die Fackel. Sie roch nach Pech und Harz.
    Der Wächter bückte sich neben einer hölzernen Kiste, die bis zum Rand mit Steinen gefüllt war, wohl um sie auf Belagerer herabzuschleudern.
     Er hob ein Seil auf. »Das Tor kann ich nicht öffnen für Euch. Aber

Weitere Kostenlose Bücher