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Das Mysterium: Roman

Das Mysterium: Roman

Titel: Das Mysterium: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Titus Müller
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Tor. »Vater!« sagte sie. Das Licht bewegte sich
     rasch, es kam den Weg entlang auf sie zu.
    Er drehte sich um. »Reiter. Wir müssen uns beeilen.«
    Sie hasteten voran, erreichten den Wald. Durch das Laub der Bäume drang kein Sternenlicht. Wilde Tiere machten nachts Jagd
     auf ihre Beute. Wer sagte ihr, daß sie nicht von Wolfspfoten umschlichen wurden in der Finsternis?
    Vater blieb stehen. »Hier, zwischen die Bäume!«
    Sie sah sich nach den Lichtern um. Sie waren so nahe gekommen, daß sie das Wabern der Fackeln erkennen konnte. |338| Es waren mehr als ein Dutzend Reiter. Eilig schlug sie sich ins Unterholz und zog Vater mit. Hinter einem dicken Baum kauerten
     sie sich nieder.
    »Hier hatte William Ockham seine Bienen«, sagte Vater, »gleich dort.«
    Sie sah wie gebannt auf den Weg. Die Reiter wurden langsamer, im Wald ließen sie die Pferde im Schritt gehen. Warum hörte
     man nichts? Die Tiere gingen lautlos, als sei es ein Gespensterheer.
    Gerade vor ihrem Versteck hob der Anführer die Hand und sagte: »Absteigen! Löscht die Fackeln!« Die Hufe der Pferde waren
     unförmige Batzen. Hatten sie die Hufe mit Lumpen umwickelt?
    »Hier im Wald?« fragte ein Reiter. »Wir sehen doch so schon kaum etwas.«
    »Ihr habt mich gehört. Tut es.«
    Die Reiter stiegen ab, drehten die Fackeln im Schmutz, bis sie erloschen. Einzig der Anführer hielt noch eine brennende Fackel.
     Er sah sich sorgfältig um. Als er ihr das Gesicht zuwendete, zuckte sie zusammen. Es war von rotem Narbenfleisch verunstaltet.
     Der Dominikaner. Er hielt den schwarzen Mantel vorn geschlossen, nur sein Gesicht wurde von der Fackel angestrahlt. Mit stechendem
     Blick spähte er in ihre Richtung. Hatte er sie entdeckt? Er bückte sich, drehte seine Fackel im Schmutz. Es wurde finster.
     »Weiter!« befahl er. »Führt die Pferde.«
    Vater tastete nach ihr und nahm ihre Hand. Er drückte sie fest. So verharrten sie, lange. Sie blieben regungslos, obwohl sie
     nichts hörten. Schließlich löste der Vater seine Hand aus ihrer und sagte: »Es ist fast geschafft. Nur eine Aufgabe liegt
     noch vor uns.«
    »Wovon sprichst du?«
    »Ich habe nichts bei der Kirche in Haidhausen vergraben. Was der Weise Weiße zu erlangen sucht, ist hier im Wald versteckt.«
    »Ist dir klar, wie lange wir brauchen in dieser Dunkelheit, |339| um irgendwo hinzugelangen? Wir laufen gegen Bäume, die Zweige stechen uns die Augen aus. Oder wir fallen über Wurzeln.«
    »Ich kenne den Weg. Und wenn ich dir zu Ende berichte, während wir uns vorantasten, wirst du die Dunkelheit vergessen.«

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    |340| 25
    Winter 1337
    Der Dominikaner ritt mitten auf den Platz. »Hört her!« Seine Stimme war tief und voll. »Ich verkünde dieser Stadt eine Gnadenzeit
     von vier Wochen. Wer sich innerhalb der
tempus gratiae
selbst anzeigt oder andere Ketzer denunziert, soll nur milde bestraft werden. Von der fünften Woche an gilt die volle Härte
     des Gerichts. Geht in Euch! Kehrt Euch ab von Euren häretischen Irrwegen! Im Februar werden Scheiterhaufen brennen.«
    Die Handwerker und Krämer, Knechte und Mägde entsetzten sich. Mütter hoben ihre Kinder auf den Arm und eilten davon. Andere
     hockten weinend bei Angehörigen, die von der Menge niedergetrampelt worden waren. Verletzte wurden vom Platz geschleppt.
    »Wer sein Gewissen sogleich entlasten möchte, soll zu jenen Karren kommen.« Der Dominikaner bahnte sich mit seinem weißen
     Roß einen Weg durch das Volk. Wo er vorüberritt, verbeugten sich die Menschen oder sahen zu Boden.
    »William Ockham!« rief er. »Ich habe so viele Eurer Briefe gelesen. Lernen wir uns endlich kennen!«
    William sah neben sich. Der Perfectus und seine Jünger waren fort. Sie hatten das Durcheinander genutzt, um ungesehen zu verschwinden.
     War der Kaiser stark genug, ihn, William, jetzt zu beschützen? Der Dominikaner würde sicher nichts lieber tun, als ihn, den
     verhaßten Gelehrten, an einen Pfahl zu binden und anzuzünden.
    »Was ist hier geschehen?« Der Inquisitor zügelte den Schimmel kurz vor Williams Karren.
    »Ein öffentliches Streitgespräch mit Amiel von Ax. Ich hatte gehofft, das Volk gegen ihn stimmen zu können, und wollte ihn
     dann von den kaiserlichen Wachen festnehmen lassen.«
    |341| »Ihr, ein Gegner der Inquisition? Wenn ich mich recht entsinne, pflegt Ihr abscheulich zu schimpfen, wenn man Euch das Recht
     auf freie Rede nimmt.«
    »Ich denke, es gibt Gründe, die ein Redeverbot rechtfertigen. Man muß betrachten, ob

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