Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Mysterium: Roman

Das Mysterium: Roman

Titel: Das Mysterium: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Titus Müller
Vom Netzwerk:
täglich die Heilige Schrift erforscht wird – und trotzdem halten sich
     solche Dummheiten in den Köpfen der Menschen.«
    »Wollt Ihr mich beleidigen? Ich muß mir von Euch keine Dummheit vorwerfen lassen.«
    »Wir haben die Ehre von Gott erhalten, uns entscheiden zu dürfen. Die Tiere haben keine freie Wahlmöglichkeit, wie schon Johannes
     von Damascus in
De fide orthodoxa
schrieb, sie werden viel stärker als wir zum Tun getrieben, entsprechend ihren Substanzen. Wir aber sind frei. Wir können
     uns sogar dazu entscheiden, nicht glücklich sein zu wollen. Warum nehmt Ihr den Menschen diese Freiheit, warum wollt Ihr sie
     zum Guten zwingen?«
    »Ihr täuscht Euch. Wir sind nicht frei. Wir können entscheiden, wann wir schlafen, ja, aber habt Ihr einmal versucht, gänzlich
     auf Schlaf zu verzichten oder ihn über Tage hinweg hinauszuschieben? Es ist uns nicht möglich. Und genauso brauchen wir Gott.
     Wenn Menschen das nicht einsehen wollen |428| oder ihm nicht gehorsam sind, dann reißen sie ihre Mitmenschen mit sich ins Unglück, und das zu verhindern ist Aufgabe der
     Kirche.«
    »Warum sollten wir Lob erhalten für eine gute Tat, wenn es gar nicht in unserer Macht lag, uns dafür zu entscheiden? Oder
     Schuld tragen an einer Untat, wenn wir sie zwangsläufig verüben mußten?«
    »Niemand sagt das.«
    »Aber Ihr denkt, Ihr rettet Menschen, wenn Ihr sie öffentlich verbrennt. Das meine ich mit Irrwegen. Die Kirche scheint in
     letzter Zeit öfter solche Narreteien zu erfinden. Statt daß sie danach fragt, wie Gott es eingerichtet hat, daß wir Vergebung
     erlangen von ihm und ihm allein, gibt es die Angstregentschaft der Inquisition, oder Dinge wie das Heilige Jahr, das Bonifatius
     zum vergangenen Jahrhundertwechsel ins Leben rief. Bedenkt das einmal! Den Gläubigen, die Rom besuchen, einen besonderen Ablaß
     zu gewähren! Vergebung ihrer Schuld, nicht wegen Christus, sondern wegen einer Reise. Und welchen Erfolg hatte Bonifatius!
     Dreißigtausend Menschen sind allein an den Hauptfeiertagen gekommen und haben die Basiliken des Heiligen Petrus und des Heiligen
     Paulus besucht. Der Menschenandrang soll so groß gewesen sein, daß die Amtsleute den Menschenstrom über die Tiberbrücke in
     zwei Spuren leiten mußten: eine Spur zum Kastell Sant’Angelo und zur Konstantinischen Basilika, die andere in Richtung Monte
     Giordano. Welchen Sinn hat das? Alle hundert Jahre ein solches Jahr zu gestalten, wo doch Christus unsere Schuld jeden Tag
     vergibt?« Ihm wurde warm vor Wut.
    »Verzeiht.« Ein junger Bursche verneigte sich, ein Diener. Die Stimme war brüchig, sie sprang zwischen hohen und tiefen Lagen.
     »Der Kaiser begrüßt Euch als Gast.«
    Der Inquisitor nickte leicht. Es sah aus, als hätte er nichts anderes erwartet.
    »Und Ihr, Herr William, mögt bitte zu ihm heraufkommen in den Rittersaal. Er braucht Euren Rat.«
    |429| Der junge Diener brachte den Inquisitor zu den Gästegemächern, sie ließen William allein. Er ging auf den Nordflügel zu. Wie
     seltsam doch mein Leben verlaufen ist! ging es ihm durch den Kopf. Er sah sich zum erstenmal über diesen Platz gehen, voller
     Staunen über die Pracht des Kaiserhofs. Damals war er überzeugt gewesen, nur übergangsweise hier zu sein, er war sicher gewesen,
     der Streit mit dem Papst würde bald beigelegt sein, und auch mit seinem Orden wollte er sich versöhnen.
    William stieg die breite Treppe zum Rittersaal hinauf. Er entsann sich, wie er sie zum erstenmal emporgestiegen war: Alles
     war hell erleuchtet gewesen von Kerzen und Fackeln, und durch die große Tür oben drangen Gelächter und Musik. Diener trugen
     neben ihm die erlesensten Speisen hinauf, gefüllten Schwan, Lammpastete, Konfekt, gezuckerte Früchte, Himbeereis, andere Diener
     brachten leere Platten wieder hinunter.
    Er betrat den Saal. Da war keine Musik, kein Licht, keine Festtafeln. Es war dunkel, nur wenige Fackeln rußten die Wände an.
     Er fröstelte. Der Kaiser stand am geöffneten Fenster und ließ noch mehr Winterkälte hinein. Hinter ihm saßen seine wichtigsten
     Berater und Hofbeamten am Tisch, als warteten sie darauf, daß Speisen aufgetragen würden, aber es gab nicht einmal verdünnten
     Wein, kein Krug war in Sicht, der Tisch blieb leer. Niemand sprach.
    »Majestät.« William deutete eine Verneigung an.
    »Ihr habt mir den Inquisitor hergeholt?« Ein spöttisches Lächeln verzog den kaiserlichen Mund. »Haben wir nicht genug Ärger?«
    »Man wollte ihn niedermachen,

Weitere Kostenlose Bücher