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Das Mysterium: Roman

Das Mysterium: Roman

Titel: Das Mysterium: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Titus Müller
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Gesicht ab und sagte in das Dunkel: »Ich habe gehungert. Ich hätte mir eine ganze Festtafel voller Speisen kaufen
     können, samt Dienern. Aber ich habe es nicht getan.« Er sah sie wieder an. »Die abscheulichsten Arbeiten habe ich gemacht.
     Ich bin mit Eimern zu den Leuten gegangen und habe sie hineinpissen lassen und habe ihnen einen Hälbling gegeben für ihren
     Urin. Mit den stinkenden Eimern bin ich durch die Stadt gezogen. Wo ich hinkam, haben die Leute das Gesicht verzogen. Der
     Gestank klebte an meinen Händen. Tag und Nacht haben sie säuerlich gerochen. Aber die Gerber haben bezahlt für die Pisse,
     und ich habe mit diesen Pissehänden gegessen, sobald ich meinen Lohn erhalten hatte, und habe vier oder fünf Pfennige aufgespart.«
    »Du hast gehungert und hast gleichzeitig Geld gespart? Warum?«
    »Wie kann ich dir das erklären? Dieses Geld war mein Weg in die Vergangenheit. Niemand wußte von dem Topf mit Münzen, den
     ich in einer alten morschen Mühle vor dem Neuhauser Tor versteckt hatte. Es waren harte Jahre, aber ich hätte das Geld niemals
     angerührt.« Er blickte in die Flamme der Fackel, als sehe er darin Bilder aus jener Zeit. »Manchmal konnte ich die Eimer stehen
     lassen und habe Kohlen gegraben für die Bauern rings um die Stadt. Holz zum Heizen war ihnen zu teuer, und so haben sie mich
     losgeschickt, daß ich in den Flözen für sie Kohle schürfe. Die meisten waren beinahe leergeschürft. Das Wasser stand darin.
     Bis zum Bauch habe |28| ich im schwarzen Sud gesteckt und habe die Kohlenreste mit Hacke und Spaten herausgegraben. Dann mußte ich den triefenden
     Sack zum Hof schleppen, während mir das Wasser über den Rücken lief. Auch das hat mir einige Pfennige eingebracht, die ich
     sparen konnte.«
    Wie er den rechten Mundwinkel geschlossen hielt beim Sprechen, wie er bei wichtigen Worten die Hände absacken ließ, ohne Zweifel
     war er es, Vater, der Mann, der sie aufgezogen und ihr beigebracht hatte, ein gutes Leben zu führen. Aber ihr Vertrauen war
     erschüttert. Sagte er die Wahrheit? Hielt er nun nichts mehr zurück?
    »Man hat mir die unangenehmen Aufgaben gegeben«, sagte er. »Du weißt ja, der Boden ist karg rings um München, da muß man düngen,
     sonst wächst nichts. Sie brauchten jemanden zum Mistbreiten. Mit zwielichtigen Gestalten zusammen habe ich das gemacht. Ich
     war selbst so einer, ein Herumtreiber, eine hungernde Krähe. Meine Fähigkeiten habe ich verborgen.«
    »Warum, Vater?«
    »Du kennst den strengen Geruch von reifem Tierdung?« Er verzog spöttisch den Mund. »Selbst die Hofknechte, die auch nicht
     sonderlich gut riechen, haben sich vor dieser Arbeit gescheut. Schon wenn ich den großen Misthaufen vor dem Tor gesehen habe,
     wurde mir übel. Aber das Zeug mußte auf das Feld, und als Belohnung gab es eine zusätzliche Mahlzeit, gekochtes Fleisch mit
     Kohl. Niemand ahnte, wie groß meine Ersparnisse waren. Ich war ein schmutziger Herumtreiber.«
    »In Wahrheit warst du das nicht.«
    »Nein. Ich war untergetaucht. Nirgendwo kann man sich so gut verbergen wie im Abschaum einer Stadt. Einer allerdings hat mich
     ausfindig gemacht. Das war Amiel von Ax.«

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    Winter 1336
    Der schwarze, glänzende Körper der Schnecke schob sich über seine Hand. Das Haus drohte seitlich abzustürzen. Ein hübsches
     braungestreiftes Haus. Die Schnecke richtete es auf, zog es mit. Sie begann zu fressen, aber nicht das Löwenzahnblatt, das
     Nemo ihr hinhielt, nein, sie nagte an seiner Hand. Feine Raspelzähnchen fuhren über die Haut. Die Schwarze streckte ihre Fühler
     steil in die Höhe, als würde sie voller Neugier dem fremden Geschmack nachspüren.
    Was fand sie da in seinen Hautritzen? Dreck? Schweinekot? Salzigen, angetrockneten Schweiß? Es schien ihr zu schmecken. Der
     Raspelmund kitzelte ihn. Wie fein hatte Gott dieses Tier geschaffen! Die glänzende Haut, die kleinen Augen am Ende der Stiele
     – Schnecken waren ein Wunderwerk.
    Und sie erinnerten ihn an etwas.
    Es war nicht viel mehr als ein Gefühl, wie so viele seiner Erinnerungen. Er fühlte sich sicher mit diesem Tier auf der Hand,
     er fühlte sich geliebt und beschützt. Stimmen waren da, die Beine von Erwachsenen, eine Hand, die seinen Kopf streichelte.
     Bildete er sich das nur ein? Wünschte er es sich zu sehr? Oder war es tatsächlich ein Stück seiner verlorenen Vergangenheit?
    Er hörte die Tür klappen. Der Bauer. Eilig zog er die Schnecke ab von der Hand, es ging nicht

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