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Das Mysterium: Roman

Das Mysterium: Roman

Titel: Das Mysterium: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Titus Müller
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Bursche. Bleib bei deinen Säuen.«
    Er sah zur Stadt hin. Auf den Bleichwiesen am Isarufer waren weiße Leinenbahnen in der Sonne ausgebreitet, ringsum mit Steinen
     beschwert. Der Wind zupfte an ihnen, blähte sie sanft. Kein Wächter behütete sie. Es war nicht notwendig. Die harte Strafe
     schreckte Diebe ab: Wer an der Bleiche mehr als eine Elle Stoff stahl, wurde an den Galgen gehängt. Zur Lände hin baute man
     am neuen Stadttor. Steine und Holz lagen in großen Haufen bereit. Der Baumeister lief wie ein Hütehund zwischen den Handwerkern
     umher und begutachtete ihre Arbeit.
    Vielleicht war es der letzte warme Herbsttag. Der gute Teil des Jahres ging vorüber, es kam der Winter, die Zeit, in der er
     bis auf die Knochen fror und nicht wußte, ob die Kälte oder der Hunger ärger zwickten. Aber er wagte es noch nicht, wieder
     den Kopf aus der Menge zu heben. Er mußte untergetaucht bleiben, bis man ihn vergessen hatte, bis der unglückselige Vorfall
     aus dem Gedächtnis der Menschen verschwunden war.
    Papst Johannes XXII. hatte der Kirche zweihundertfünfzig Tonnen Gold hinterlassen. Er, Nemo, besaß gerade zweiunddreißig Schillinge.
     Er hatte sich alles ausgerechnet: Zwölf Pfund kostete das Pferd, dann der Hafer unterwegs sieben Schillinge und die Übernachtungen
     in den Herbergen samt Verpflegung etwa zwanzig. Hinzu kamen die Kosten für eine Gewandung, die ihn als freien Herrn erscheinen
     ließ. Sie würde mit ein bis zwei Pfund zu Buche schlagen. Alles in allem brauchte er siebzehn Pfund. Das entsprach hundertsechsunddreißig
     Schillingen.
    |33| Wie er im Augenblick arbeitete, würde er tausend Jahre brauchen, ehe er das Geld zusammenhatte. Aber in einigen Monaten konnte
     er wieder auftauchen, weil man ihn vergessen hatte. Dann würde er sich die noch fehlende Summe holen. Er war in München aufgewachsen.
     Er wußte, wo das Geld saß und wie man es erlangte.
    Eine Asch legte an, ein Salzschiff. Es war so groß, daß zehn Schiffer notwendig waren, um es den Fluß entlangzusteuern. Mit
     lauten Rufen verständigten sie sich, bis das Schiff neben den Steg gebracht war. Sie banden es an den Pfeilern fest. Während
     ein Teil der Schiffer Knoten machte, luden die anderen bereits die ersten Kröteln aus. Im Schiffsbauch türmten sich mindestens
     vierzig Fäßchen zu je fünf gepreßten Salzscheiben.
    Die Hafenhüter erschienen. Sie zählten die Fässer und notierten etwas auf kleinen Wachstäfelchen. Dann forderten sie die Frachtgebühr.
     Nemo sah Gold aufblitzen. Zwei Gulden wurden übergeben. Aber die Hafenhüter waren keine gute Beute, sie wurden von der Stadtkammer
     überwacht, und ihre Kassen waren verschlossen und versiegelt, sie steckten die Münzen nur durch einen kleinen eisernen Schlitz
     hinein.
    »Du heißt Nemo?« fragte eine Stimme hinter ihm.
    Er drehte sich um.
    Der Fremde. Er sah ihn aus tiefgrünen Augen an. Der Bart des Fremden war aus der Form gewachsen. Eine Bö vom Fluß her hob
     seine grobe, dunkle Kutte an und entblößte abgenutzte Stiefel.
    »Nemo, ja.«
    »Kommst du aus dem Spitalorden vom Heiligen Geist?«
    Mit aller Kraft riß er sich zusammen. Kein Gesichtsmuskel durfte ihn verraten. Woher, verdammt noch mal, wußte der Fremde,
     wer er war? Der Orden war verschwunden, der letzte Chorherr war vor Jahren gestorben, und er, Nemo, hütete seine Herkunft
     wie ein gefährliches Geheimnis. Er schüttelte den Kopf und sagte: »Nein. Ihr sucht einen anderen.«
    »Du bist nicht bei den Brüdern der Taube und des Kreuzes |34| aufgewachsen? Nemo, so nennen sie Findelkinder, oder? Lateinisch,
nemo
für niemand.«
    »Ich war ein Findelkind, daher hab ich meinen Namen. Aber die Franziskaner haben mich aufgezogen, nicht dieser andere Orden,
     den Ihr meint. Und ich kenne inzwischen meine Herkunft. Meine Familie lebt in Augsburg.«
    »Warum hat sie dich verstoßen?«
    »Das sage ich nicht.« Er sah zu Boden und errötete. Plötzliches Erröten hatte er lange geübt.
    Der Fremde schwieg. Dann nickte er. »Du hast recht, es geht mich nichts an. Wo finde ich den Meister des Spitalordens?«
    Der dicke Trumm stellte sich zwischen Nemo und den Fremden. »Herr, Ihr fragt den Falschen. Nemo kennt sich mit solchen Dingen
     nicht aus. Er ist einfacher Schweinehirte. Geht ins Gasthaus ›Zum Hirschen‹, dort essen die feinen Herrschaften, die Ihr so
     was fragen könnt. Soll Euch der Bursche gegen ein kleines Handgeld die Kiste tragen?«
    »Meinetwegen, es sei.«
    Trumm nahm Nemo beiseite und

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