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Das Mysterium: Roman

Das Mysterium: Roman

Titel: Das Mysterium: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Titus Müller
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Hier, in der pferdestallgroßen Ofenhöhle,
     begriff sie, was ihm angst machte. Es war der Inquisitor.
    Der Inquisitor schwieg. Die Kiele der Notare kratzten über das Pergament. Mathilde haßte die beflissenen Notare, die jedes
     Wort festhielten. Als das Kratzen verebbte und die Federn über den Tintenfäßchen schwebten, die Hände bereit, weiterzuschreiben,
     da richtete der Inquisitor seinen Blick auf den Angeklagten und fragte: »Habe ich Euch richtig verstanden, Ihr widerruft Euer
     Geständnis?« Der Inquisitor war ein häßlicher Mann. Die Hälfte seines Gesichts war von rotem Narbenfleisch verformt. Er stand
     da in seinem weißen Dominikanerhabit, über den Schultern der schwarze Mantel, als wäre er von Gott persönlich als Racheengel
     zur Erde geschickt worden. Sie hatten einen Inquisitor für München. Warum war dieser Fremde gerufen worden? Der Münchner Inquisitor
     war nicht einmal zur Verhandlung gekommen, ganz so, als hätte man ihm befohlen, sich aus der Sache herauszuhalten.
    »Mit den Morden hatte ich nichts zu tun.«
    »Kaufmann Neuhauser, ich habe Zeugen, die Euer Schuldgeständnis unter Eid bestätigen. Ihr habt es förmlich herausgeschrien. |21| Es war doch eine Befreiung für Euch, die Wahrheit zu sagen.«
    »Ich konnte die Qualen nicht mehr ertragen«, sagte der Vater. Seine Stimme zitterte. Er senkte den Kopf, als schämte er sich.
     »Das Brenneisen.«
    »Oder war es nicht vielmehr die Last der Schuld? Das Brenneisen hat Euch nur geholfen, indem es Euren Mund öffnete. Was Ihr
     gestanden habt, habt Ihr gestanden. Aber Ihr seid ja geübt darin, anderen Lügen aufzutischen, nicht wahr? Da verwundert es
     nicht, wie Ihr Euch vor dem Inquisitionsgericht windet. Könnt Ihr mir sagen, wer die folgenden Männer sind?« Der Inquisitor
     hob ein Schriftstück in die Höhe und verlas: »Arnold Minnepeck. Heinrich von Niedelschütz. Hans Schwilwatz von Schwilwatzenhausen.
     Heinrich Pfanzelter. Kunrad Teufelhart.«
    Vater antwortete etwas. Er sprach leise, Mathilde konnte es nicht verstehen. Er stand gebeugt, gedemütigt. Wofür schämte er
     sich?
    »Laßt es auch den Saal hören, Kaufmann Neuhauser! Eure Stimme trägt doch sonst recht gut.«
    »Diese Männer bin ich.«
    Ein Raunen ging durch die Menge der Zuschauer. Ritter, Kaufleute, Mönche beugten sich zueinander und sprachen. Ihre Augen
     waren weit geöffnet, niemand konnte fassen, was Vater gerade gesagt hatte. Verstanden sie nicht, daß er es nur der Folter
     wegen sagte? Er wurde zu diesen Aussagen gezwungen!
    »Das waren nicht die einzigen eurer Täuschungen, nicht wahr? Ihr habt die halbe Stadt belogen. Habt Ihr die Büßerkreuze getragen,
     die Euch die Inquisition vor zwanzig Jahren auferlegt hat?«
    »Nein, das habe ich nicht.«
    »Seid Ihr nach Eurer Verurteilung zu den häretischen Versammlungen des sogenannten Perfectus zurückgekehrt?«
    »Ja.«
    »Habt Ihr ihm geholfen, seiner gerechten Strafe zu entgehen?«
    |22| »Herr Inquisitor und Eure hochwürdigste Exzellenz, verehrter Bischof, ich empfand seine Strafe nicht als gerecht.«
    Der Bischof schüttelte mißbilligend den Kopf. Neben ihm bellte der Inquisitor: »Was gerecht ist, habt Ihr nicht zu bestimmen!
     Ihr seid hier, um Euch vor dem Inquisitionsgericht zu verantworten für Eure Missetaten. Und das Gericht erkennt Euch für schuldig.«
    Vater drehte sich um. Er sah Mathilde an, Pein in seinem Gesicht. Dann kehrte er sich wieder nach vorn.
    »Der Angeklagte wird der mehrfachen Beihilfe zum Mord schuldig gesprochen«, verkündete der Inquisitor. »Er wird schuldig gesprochen,
     einem verurteilten Häretiker zur Flucht verholfen zu haben. Der Angeklagte wird schuldig gesprochen, die von der Inquisition
     auferlegte Buße mißachtet zu haben. Er wird schuldig gesprochen, sich unverbesserlich auch nach der Ermahnung dem Irrglauben
     hingegeben zu haben. Deshalb ergeht folgendes Urteil: Der Angeklagte ist in strenger Haft einzuschließen, in einem sehr engen
     Raum, in Fesseln und Ketten, auf ewig.«
    Wie eine Säule stand der Inquisitor da und ließ seine Worte wirken. Währenddessen haschte der Bischof nach einer Fliege. Er
     zerdrückte sie in der Hand und warf sie zu Boden. Die Notare schrieben.
    Ewiger Kerker? Mathildes Rücken streckte sich. Sie preßte die Lippen aufeinander. Das Urteil paßte nicht. In ihrem Bauch summte
     ein Bienenschwarm, ihr Instinkt schlug so stark an, daß es sie zum Zittern brachte. Lebenslängliche Gefangenschaft. Nach allem,
     was man ihrem

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