Das nasse Grab
lichtscheues Gesindel, das sich hier, auf diesen Inseln der Verdammten, zusammengefunden hatte und von dem lebte, das das Meer lieferte. Als er die Bewohner der Inseln dann vor sich sah, fuhr ihm der Schreck doch in die Glieder.
Sie standen am Strand, auf Landestegen und in knöcheltiefem Schlick. Sie kamen nicht ganz bis zur Anlegestelle der Boote heran, zogen sich aber auch nicht zurück. Sie starrten Mythor, Scida, Gerrek und Kalisse an wie Geschöpfe aus einer anderen Welt.
Dabei waren sie es, die nicht in diese Welt hineinzupassen schienen.
Die Männer aus den Booten waren ausgestiegen und zogen das Lumenia-Bruchstück nun mit vereinten Kräften an Land. Sie waren groß und muskulös. Dann und wann hob einer von ihnen den Kopf, und Mythor blickte in starre, gläsern wirkende Fischaugen, die in zum Teil schon grünen Gesichtern saßen. Die Hände, die die Seile umfaßten, waren nicht mehr die von Menschen. Ihre Finger waren lang, und manchmal saßen nur vier an einer Hand. Zwischen ihnen spannten sich Schwimmhäute.
Der Geruch von faulendem Fisch und Moder war allgegenwärtig.
Mythors Hand lag auf Alton. Scida hatte beide Schwerter umfaßt. Kalisses Eisenfaust war halb erhoben.
Die Fischer hatten sie nicht nach Nida gebracht, sondern durch eine Meerenge zu einer größeren Insel, von der Kalisse sagte, dies könne nur Asingea sein. Auch für die Stadt, die sich an den Hügelhängen hinter dem kleinen Hafen hinaufzog, hatte sie einen Namen: Icearran.
Mythor sah Lehmhütten neben Steinbauten und Ruinen, Türme zwischen großen Lagerhäusern und Gebäuden ohne Fenster und Türen. Und überall lag Tang und Schlick. Alles starrte vor Schmutz, die Stadt wie ihre Bewohner.
»Kalisse!«
Mythor hatte sich aufgerichtet und die Rechte noch immer an Altons Griff. Auch wenn er keine Waffen bei den Unheimlichen sah, war er wachsam.
Die Amazone kam an seine Seite und blickte ihn fragend an.
»Das alles macht den Eindruck, als wären wir erwartet worden«, sagte Mythor. »Läßt die Schwerter stecken. Reizt sie nicht unnötig. Du hast von diesem Meervolk gesprochen, von den Nachfahren des untergegangenen Alten Volkes von Singara. Nur um ganz sicherzugehen: Du meintest damit nicht sie.«
Mit dem Kinn deutete er auf die Gestalten am Strand.
»Du weißt es. Honga. Sperre dich nicht länger dagegen. Du weißt wie ich, daß nicht diese Menschen die Harpunen in die Pflanzen gestoßen haben. Ja, sie sind Menschen, auch wenn sie nicht mehr so aussehen mögen.«
»Was haben sie dann mit dem Meervolk zu tun?«
»Sie beten die gleiche Göttin an. Mehr weiß ich auch nicht.«
Er versuchte, sich einen Reim darauf zu machen. Die Wasserbewohner hatten den Pflanzenschaft auseinandergebrochen, so daß das Stück mit der Kammer an die Oberfläche treiben konnte. Dann waren die Fischer zur Stelle gewesen und hatten sie abgeschleppt.
»Hör auf zu grübeln«, mahnte Kalisse. »Sieh, sie winken uns.«
Tatsächlich hatten sich nun die anderen Wartenden um die Männer aus den Booten gesammelt und machten den Gefährten Zeichen, daß sie an Land kommen sollten.
Mythor nickte Scida und Gerrek zu und sprang ins Wasser, das ihm an dieser Stelle, fünfzig Fuß vor dem Ufer, noch bis zu den Hüften reichte. Die Amazonen folgten ihm. Nur Gerrek schüttelte heftig den Kopf.
»Ich bleibe hier!« verkündete er. »Niemand bringt mich ins Wasser. Kommt mich mit einem Boot holen.«
»Schon wieder deine leeren Versprechungen«, rief Scida.
Gerrek blieb sitzen.
Mythor erreichte das Land als erster. Er stand den Verbannten gegenüber.
Für lange Augenblicke musterten sie sich gegenseitig. Die Ausgestoßenen wirkten scheu und verschlossen, aber nicht feindselig. Fast schien es, als empfänden sie Ehrfurcht vor den Geretteten.
Und Mythor glaubte seinen Ohren nicht trauen zu dürfen, als nun einer von ihnen vortrat und sich vor ihm in den Schlamm warf.
»Ihr, die ihr vom Meer wieder ausgespien wurdet«, sagte er laut und mit bebender Stimme, »die ihr von den Tritonen geprüft und zur Oberwelt zurückgeschickt wurdet – erweist uns die große Gunst, euch beherbergen zu dürfen. Seid unsere Gäste und nehmt unsere Gaben. Es ist ein bedeutsames Omen, daß ihr aus der Tiefe zur Oberwelt zurückkehrtet. Große Dinge stehen bevor. Laßt uns eure Diener sein und mit euch daran teilhaben!«
Mythor mußte schlucken. Die Worte des Mannes verwirrten ihn. Er zweifelte an seinem Verstand, und doch fühlte er sich an etwas erinnert – an jenen Tag, an
Weitere Kostenlose Bücher