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Das nasse Grab

Das nasse Grab

Titel: Das nasse Grab Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Horst Hoffmann
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soll das heißen, bis unsere Stunde kommt?« fragte er heftig. Scida war bei ihm. Kalisses Eisenfaust war erhoben. Gerrek drückte sich an den Wänden entlang und sah aus, als würde er jeden Moment aus lauter Verzweiflung mit dem Feuerspeien beginnen.
    Dorgele schien von der Frage überrascht.
    »Ihr wißt es nicht?« fragte sie. »Ihr wißt nicht, welche Gunst euch zuteil werden soll? Die Meermutter selbst wird euch einer Probe unterziehen, wie es nur wenigen zuteil wird.«
    Eine Art Probe hatten sie doch nach Ansicht der Ausgestoßenen der Inseln bereits bestanden – die der Tritonen. Wozu sollten sie sich einer weiteren unterziehen? Und wer war die Meermutter?
    Mythor stellte eine entsprechende Frage, während Kalisse sich hinter Dorgele stellte und ihm grimmig zunickte.
    Scida suchte nach einem zweiten Ausgang aus dem Kulthaus, das ihnen allen nun wie ein Kerker vorkam.
    Gerrek verhielt sich ungewöhnlich still.
    »An die Oberwelt zurückgestoßen wurdet ihr vom Volk des Meeres«, sagte Dorgele mit Andacht in der Stimme. »Von unseren Bewahrern und Beschützern, von jenen, die vergessen wurden und doch leben. Doch suchet nicht, den Willen der Göttin zu ergründen.«
    Dabei blickte sie zur Statue auf dem Altar hinüber.
    Mythor trat näher an den Altar heran und betrachtete die Statue genauer. Der Menschenkopf war ein Totenschädel mit großen, dunklen Augenhöhlen. Der sich anschließende Körper war langgestreckt und ließ Mythor in seiner Formlosigkeit unwillkürlich an eine übergroße Nacktschnecke denken.
    Er glaubte, sich an etwas erinnern zu müssen, aber woran?
    War dies Anemona?
    Mythor verzichtete darauf, Dorgele zu fragen. Er nickte nur finster und warf Scida einen Blick zu.
    »Nichts!« knurrte die alternde Amazone. »Es gibt keinen Weg hier heraus – außer dem einen, durch den wir kamen.«
    »Ist die Meermutter die Anemona?« wollte Scida von Dorgele wissen.
    Sie erhielt keine Antwort. Die junge Inselbewohnerin ging zum Altar, kniete davor nieder und nahm prachtvolle Blumen aus einem mit Wasser gefüllten Kübel, die so gar nicht in diese von Moder und Fäulnis erfüllte Welt passen wollten. Mythor erinnerte sich daran, ähnliche Wasserblumen auf den Teichen von Burg Anbur gesehen zu haben – weiß, rot und gelb blühende Teichrosen.
    Dorgele breitete sie in einem Halbkreis vor der Statue aus. Sie war wie in tiefe Versunkenheit gefallen. Mythor fluchte leise und bedauerte schon, sich in die Hände der Inselbewohner gegeben zu haben.
    »Gäste, ha!« rief Kalisse aus. »Du, Inselkind! Ich will hier heraus und mich draußen umsehen!«
    »Wartet, bis eure Stunde gekommen ist. Die Meermutter entscheidet, was euer Schicksal sein wird.«
    »Da siehst du es!« rief Kalisse wütend aus. »Auch wenn du kein Mann wie andere Männer bist, Honga, hätten wir nicht auf dich hören sollen! Ich denke nicht daran, mich einer Göttin opfern zu lassen!«
    Sie wartete keine Antwort ab, sondern lief auf die schwere Tür zu und warf sich mit der Schulter dagegen.
    Sie flog nach außen auf. Doch Kalisse wich mit einem Aufschrei zurück.
    Draußen standen Männer mit Lanzen in den Händen – mit Lanzen, deren Enden aus messerscharfen Fischknochen bestanden.
    Zwei der Wächter stießen die Tür wieder zu. Ein Riegel wurde vorgelegt.
    »Wir werden mit ihnen fertig«, verkündete Gerrek selbstbewußt. »Laßt mich nur machen.«
    Er stellte sich breitbeinig vor die Tür, riß sein Kurzschwert heraus und lehnte den Oberkörper weit zurück. Bevor er Feuer speien konnte, war Mythor bei ihm.
    »Laß das«, sagte er. »Wir warten. Das kannst du immer noch tun, wenn wir es vielleicht nötiger haben.« Mit einem kurzen Blick auf Dorgele fügte er flüsternd hinzu: »Bis dahin brauchen die Inselbewohner nicht zu wissen wessen wir mächtig sind.«
    »Was versprichst du dir davon?« fragte Scida verständnislos.
    Er wußte es selbst nicht. Es war klar, daß sie Gefangene waren und sich einer zweifelhaften »Prüfung« zu unterziehen hatten, an deren Ergebnis schon jetzt kaum ein Zweifel bestehen konnte, wenn Kalisse die Wahrheit gesagt hatte.
    Aber etwas hielt Mythor zurück. Er wußte nicht, was es war.
    Er spürte nur, daß hier mehr auf sie lauerte als nur die Anemona und ihre Tritonen – etwas, das er ergründen mußte, das er bei einer Flucht nicht für alle Zeit im Rücken haben wollte.
    Mit grimmiger Miene setzte er sich auf eine der Bänke und sah Dorgele zu, wie sie die Statue nun offensichtlich beschwor.
    »Du machst

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