Das nasse Grab
dem er den Tau begegnete und damit den ersten Schritt auf seinem langen Weg in die Zauberwelt des Südens tat – Vanga.
»Tritonen?« fragte er Kalisse flüsternd.
»Der überlieferte Name für das Meervolk«, gab sie ebenso leise zurück.
Er verstand. Diese Menschen vor ihm hatten sich nicht nur äußerlich von ihren Ursprüngen entfernt. Die Tritonen waren für sie halbe Götter. Die Worte des Grünhäutigen nahmen ihm nun auch den allerletzten Zweifel daran, daß die Lumenia von eben diesen Tritonen zerstückelt worden war. Doch das Meervolk hatte ihn, Scida, Gerrek und Kalisse nicht an die Oberfläche gebracht. Eher glaubte er, daß das Bruchstück mit der luftgefüllten Kammer eben deshalb den Auftrieb bekommen hatte, weil es leichter als Wasser war.
Und doch waren die Boote zur Stelle gewesen.
Der Mann vor ihm im Schlamm wartete darauf, daß Mythor etwas sagte, der Sohn des Kometen beschloß, dieses seltsame Verwirrspiel vorerst mitzuspielen. Es konnte ihnen nur von Nutzen sein, wenn die Inselbewohner in ihnen Menschen sahen, die vom Meervolk zurück an die »Oberwelt« befördert worden waren. Mythor wußte, wie schnell sich Ehrfurcht in Haß und Verachtung verwandeln konnte. Immer noch hoffte er ja, von den Verbannten Unterstützung erhalten zu können.
Ihm konnte wahrhaftig nichts daran liegen, länger hier zu verweilen als unbedingt nötig. Er verspürte wenig Sehnsucht danach, herauszufinden, was es mit diesen geheimnisvollen Tritonen auf sich hatte.
Dabei konnte er nicht ahnen, wie sehr dieses Volk in der Tiefe sein Schicksal beeinflussen sollte. Was immer die Tritonen dazu getrieben hatte, das Stück mit der Kammer aus der toten Lumenia zu brechen – sie hatten ihm und den Gefährten dadurch, vielleicht ohne es zu ahnen, das Leben gerettet und die Verehrung der Inselbewohner eingebracht. Die allein galt es auszunutzen, solange sie anhielt.
»Steh auf«, sagte er. »Wir nehmen eure Einladung an.«
Und morgen, dachte er, sehen wir weiter.
Der Grünhäutige sprang auf. Ein Raunen hob unter den Umstehenden an. Dann bildeten sie eine Gasse, durch die eine noch sehr junge Inselbewohnerin auf Mythor zukam, deren Haut ebenfalls grünlich schimmerte und an einigen Stellen schon Schuppen aufwies.
»Ich bin Dorgele«, sagte sie. Wie alle anderen, trug sie nicht viel mehr am Leib als um die Lenden geschlungene Fetzen. »Folgt mir nun zum Kulthaus. Ich bin dazu ausersehen, euch eure Wünsche zu erfüllen.«
»Ich warne dich, Honga«, flüsterte Kalisse. »Ein Kulthaus ist wie ein Tempel, und in Tempeln wird geopfert.«
»Wir haben unsere Waffen«, gab Mythor zurück.
»Und wer sagt dir, daß sie keine haben oder die Tritonen?«
Dorgele wartete. Mythor nickte und setzte sich in Bewegung. Er schritt durch die aus grünlich schimmernden Menschenleibern gebildete Gasse. Hinter sich hörte er Gerreks Gezeter. Offensichtlich hatte der Mandaler sich doch dazu durchgerungen, durch das Wasser zu waten.
Die Inselbewohner stanken nach Moder, nach Fisch und Schlamm. Ihre Haut war glitschig wie die von Fischen. Ihre Augen folgten den Ankömmlingen, gaben sie keinen Herzschlag lang frei, drückten Ehrfurcht aus und noch etwas, das Mythor eine Gänsehaut bescherte.
Das Mädchen, offenbar eine Art Tempeldienerin, führte sie in die Stadt, durch enge Gassen und über Plätze, auf denen Fischernetze zum Trocknen gespannt waren. Überall lag Unrat herum, überall war Fäulnis.
Das Kulthaus war eines der fensterlosen Gebäude. Zwei Inselbewohner hielten davor Wache. Dorgele trat zwischen ihnen hindurch und stieß eine Tür auf, die nur von nahem als solche zu erkennen war.
Im Innern des Gebäudes brannten Kerzen. Die grauen Wände aus mit Lehm aneinandergefügten, unbehauenen Steinen waren mit geflochtenen Kränzen und Waffen aus Fischgräten geschmückt. Krüge und Schalen mit allerlei unbekannten Früchten darin standen für die Gefährten bereit. Zwei lange Bänke führten zu einem kleinen, reichlich geschmückten Altar, auf dem eine kleine Statue aus Ton ruhte – ein unförmiger Körper mit einem Menschenkopf.
Das alles wirkte bedrückend. Diese Stätte war nicht dem Leben geweiht.
Hinter Gerrek, der das Kulthaus als letzter betrat, schloß sich schwer die einzige Tür.
»Ich werde bei euch bleiben«, sagte Dorgele, »bis eure Stunde kommt.«
Mythor fuhr herum. Er sah die geschlossene Tür, die fensterlosen Wände, über die die Flammen der Kerzen gespenstische Schatten warfen, die formlose Statue.
»Was
Weitere Kostenlose Bücher