Das Nazaret-Projekt
der Nacht vor der Abreise der göttlichen Entourage hatte Telly einen seltsamen Traum, der ihm auch am darauffolgenden Tag nicht aus dem Kopf gehen wollte. Gegenstand dieses Traumes war zu Beginn eindeutig die wohlbekannte Gestalt des Kampfjet-Piloten Gabriel Landau gewesen, der ein enger Vertrauter eines nicht näher definierten, geisteskranken Chefs einer obskuren, geheimen Ritterloge war. So sehr Telly sich auch bemühen mochte, das Gesicht dieses Bosses zu erkennen; es blieb auch aus größter Nähe besehen nur eine formlose, rosafarbene Fleischmasse. Bei erneuter Betrachtung sah auch Commander Landau irgendwie nicht mehr so besonders vertraut aus, denn sein ganzer Körper schien plötzlich aus einem merkwürdigen, silberfarbenen Metall zu bestehen, das ihn zur Bewegungsunfähigkeit verdammte. Telly konnte deshalb problemlos durch die Augen des Commanders blicken, welche die ungewöhnliche Form eines verschobenen Rhombus angenommen hatten und so die Aussicht auf eine mit atemberaubender Geschwindigkeit unter ihm vorbeirasenden Wüstenlandschaft freigaben. Plötzlich wurde ihm die Sicht über die Sanddünen von einem riesigen, brennenden Dornbusch verstellt. Die ausgestreckten, sandgestrahlten Eisenarme des fliegenden Mannes begannen sich zu schälen und verwandelten sich in die gefiederten Schwingen des Erzengels Gabriel. Aus dessen Mund sprang mit einem Mal ein scharfes, blutrotes Schwert von unendlicher Länge hervor. Die Zunge des Racheengels erstreckte sich tastend bis an den Horizont und beleckte dort in der verschwommenen und zerfließenden Ferne die filigrane Zuckerspitze eines hohen, schlanken Minaretts.
Die Absicht des Erzengels blieb Telly allerdings ein Rätsel, denn unvermittelt – ganz wie auf dem Bildschirm eines Fernsehgerätes, das ausgeschaltet wird – zuckte das Traumbild blitzschnell zu einem winzigen Punkt in der Mitte zusammen und entfernte sich zögernd in virtuelle Tiefen, wo er dann schließlich restlos verschwand.
Dieser Traum beunruhigte den Reverend in ungewöhnlichem Maße und seine Empfindung glich dabei bis aufs i-Tüpfelchen jener des verantwortlichen Flugleitoffiziers an Bord der amerikanischen Awacs-Maschine, die exakt zu Tellys Traumzeit über dem Flugzeugträger ›Harry S. Truman‹ kreiste, der sich im südlichen Teil des roten Meeres weit vor der Küste des Jemen aufhielt.
Telly nahm sich vor, Hieronymus bei Gelegenheit auf die innere Bedeutung dieses intensiven Traumes anzusprechen.
*
Am Morgen des folgenden Tages legte unter den argwöhnischen Augen der Söldnertruppe neben der Plattform ein umgebauter Trawler unter deutscher Flagge mit dem sinnigen Namen ›Archenoah‹ an, der daraufhin unverzüglich von dem kampfstarken Sicherungskommando Jablonskys geentert wurde, dessen Männer das Schiff zunächst gründlich durchsuchten. Telly, der den Vorgang heimlich beobachtete, war von der zielstrebigen Schnelligkeit und taktischen Umsicht dieser Leute tief beeindruckt. Kein Vergleich mit den lächerlichen und schmerbäuchigen Gestalten der wackeren Kreuzfahrer, die anschließend samt Handgepäck mit einem Transportkorb an Bord der ›Archenoah‹ verfrachtet und sofort unter Deck verwiesen wurden.
Danach erschien Nathan Brock im Gefolge der besonders auserwählten Jünger des Herrn, die mit ihren Leibern einen dichten Kordon um die Person der Mutter Gottes bildeten, welche auf ihren Armen das geklonte Jesuskind trug. Von seinem erhöhten Beobachtungsplatz aus konnte Telly nun das Kind zum ersten Mal ohne Sinnestäuschung in seiner wahren physischen Gestalt erblicken.
Obwohl Nathan Brock schon mehrfach über das sich erstaunlich beschleunigende Wachstum des geklonten Organismus gesprochen hatte, war der Anblick des Kindes für den Reverend ein kleiner Schock, weil er niemals über die praktischen Konsequenzen und Erfordernisse eines Vorganges nachgedacht hatte, bei dem die Körpermasse eines Menschen täglich um zwei bis vier Kilogramm zunehmen würde.
Das Kind war extrem hässlich und besaß einen enormen Wasserkopf, der haltlos auf einem schwabbeligen, tonnenförmig geblähtem Leib herumschlackerte. Offensichtlich war dieses Wesen ausschließlich damit beschäftigt, mit seinen beiden dicken Grapschhändchen ohne Unterlass irgendeine undefinierbare Nahrung in seinen weit geöffneten Mund zu schaufeln, die ihm ständig gereicht wurde.
Ebenso unablässig verließen natürlich auch die Überreste seiner äußerst regen Verdauungstätigkeit den Körper des Kindes durch
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