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Das Nebelhaus

Das Nebelhaus

Titel: Das Nebelhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eric Berg
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blieb aus, weil aus dem Innern des Hauses die Mandolinenkonzerte von Vivaldi klangen.
    »Philipp ist heruntergekommen«, sagte sie, und einen Augenblick später war er da.
    Sie frühstückten gemeinsam. Morrison, der schwarze Kater, liebäugelte mit Timos Schoß, Nena versuchte an den Käse heranzukommen, wurde aber von Philipp verscheucht, Piaf begrüßte Yasmin. Leonie fehlte als Einzige. Sie rief aus dem Gästebad, dass sie noch eine Weile brauche und die anderen schon ohne sie anfangen sollten. Dafür kam ein Überraschungsgast vorbei: Yim, der Sohn des Ehepaares Nan, der einen Tag zuvor aus Berlin zu Besuch gekommen war. Die kleine Clarissa bestand darauf, sich von ihm herumwirbeln zu lassen, und er entsprach ihren Wünschen gerne. Die beiden schienen so etwas wie ein verschworenes Paar zu sein. Ihr gemeinsames Lachen steckte an. Die Szenerie war so perfekt, wie es in einer Margarinewerbung nicht besser hätte inszeniert sein können.
    Alle griffen begierig nach den Mohnbrötchen und Marmeladen und tranken sich mit Koffein fit, was auch nötig war, denn Philipp hatte den Tag bereits durchgeplant. Zunächst stand ein Fahrradausflug zum Leuchtturm im Norden der Insel auf dem Programm, gefolgt von weiteren Besichtigungen, dem Mittagstisch in einem Fischrestaurant und einer Stunde Sonnenbaden.
    »Wie wär’s heute Abend mit einem Lagerfeuer am Strand?«, schlug Yasmin vor.
    »Ich glaube, das ist verboten«, sagte Philipp.
    Yasmin sah ihn an, als hätte er Chinesisch gesprochen. »Also gebongt«, sagte sie. »Yim, du kommst auch mit, oder? Zu blöd, dass ich meine Rassel nicht mitgenommen habe. Wir hätten so schön Musik machen können. Hat jemand zufällig eine Panflöte dabei?«
    »Meine ist gerade zur Reparatur«, erwiderte Vev trocken, woraufhin alle lachten.
    In diesem Moment kam Leonie heraus.
    »Da bist du ja!«, rief Vev, die sie als Erste entdeckte. »Setz dich zwischen Philipp und mich. Übrigens, das ist Yim, Frau Nans Sohn.«
    Leonie begrüßte Yim nur beiläufig und zerstreut. »Ich … ich muss euch etwas gestehen«, sagte sie. »Euch allen, aber besonders Philipp und Vev. Es wäre besser, wenn …« Leonies Blick fiel auf Clarissa.
    Vev verstand. »So, Clarissa, du darfst jetzt spielen gehen.« Sie wischte ihrer Tochter die von drei verschiedenen Marmeladen verklebten Finger und den Mund ab. »Nur bis zu den Heckenrosen, ja? Ich möchte dich sehen können.«
    Clarissa entfernte sich ein Stück und spielte mit einem der Holztiere, die überall herumlagen, Black Beauty auf Hiddensee.
    Leonie setzte sich zwischen Philipp und Vev. Dann warf sie Timo einen Blick zu, als ob er ihr helfen oder Kraft geben könnte. »Ich habe etwas verloren«, brachte sie mühsam hervor, »und ich finde, ihr müsst es erfahren.«
    »Ein Schmuckstück?«, fragte Philipp. »Sollen wir im Haus nachsehen?«
    »Nein, nein. Ich weiß, das wird sich jetzt zunächst gefährlich anhören … auch wenn es gar nicht gefährlich ist – wahrscheinlich.«
    »Leonie«, sagte Philipp, »wieso erzählst du uns nicht einfach, was du verloren hast?«
    »Eine Waffe.«
    Ein paar Möwen schrien, Clarissa purzelte über den Sand und summte eine Melodie, keiner sagte etwas. Zwei Atemzüge waren eine lange Zeit, wenn fünf Personen um einen Tisch herumsaßen und eine sechste Person anstarrten.
    »Eine … Waffe?«, fragte Philipp. »Heißt das ein Schweizer Messer?«
    »Nein, eine Pistole. Und sie ist geladen. Na ja, wenn sie nicht geladen wäre, bräuchte ich sie nicht.« Leonie lachte nervös auf. »Ich habe schon überall gesucht, in meiner Tasche, im Koffer, im Zimmer, im Bad … Sie ist weg. Ich kann mir das nicht erklären. Ich habe …«
    »Augenblick mal«, unterbrach Philipp. »Wir reden hier über eine geladene Pistole? Was, um alles in der Welt, machst du mit dem Ding?«
    »Ich bin vor zwei Jahren überfallen worden. Seitdem …«
    »Wer soll dich hier schon überfallen? Auf Hiddensee passiert gar nichts, hier ist bestimmt seit fünfzig Jahren kein Schuss mehr gefallen, und du rückst hier mit deinem Arsenal an. Du hättest die Waffe zu Hause lassen können.«
    »Es stimmt schon, Philipp, das war dumm von mir. Ich bin so sehr daran gewöhnt, sie dabeizuhaben … Ehrlich, mir tut das alles furchtbar leid. Ich entschuldige mich, auch bei dir, Vev. Ich hätte …«
    Vevs Ohrfeige knallte so laut, dass alle zusammenzuckten. Der Schlag mit der flachen Hand erfolgte mit Schwung. Dann trat wieder Stille ein, noch atemloser als zuvor.
    Leonie

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