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Das Nebelhaus

Das Nebelhaus

Titel: Das Nebelhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eric Berg
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stand auf, rieb sich die Wange und torkelte ein paar Schritte rückwärts vom Tisch weg, ohne Vev aus den Augen zu lassen.
    Auch Philipp stand abrupt auf, wobei sein Stuhl nach hinten umkippte. Die Katzen erschreckten davon so sehr, dass sie flohen.
    »Vev«, sagte Philipp, ebenso betroffen wie vorwurfsvoll. »Vev, ich bitte dich.«
    »Was fällt dir ein?«, schrie sie an Philipp vorbei Leonie ins Gesicht. »Du bringst eine schussbereite Waffe in mein Haus, in die Nähe meines Kindes. Du hast gewusst, dass Clarissa noch klein ist. Bist du nicht mehr ganz richtig im Kopf?«
    »Bitte beruhige dich, Schatz.«
    »Nicht ich sollte mich beruhigen , sondern du solltest dich aufregen . Eine Pistole, voll mit Patronen …«
    Leonie war sichtlich den Tränen nahe. »Nur vier«, murmelte sie.
    Vev funkelte sie an. »Na, wunderbar. Das bedeutet, dass maximal vier von uns in Lebensgefahr sind. Wir sind zu sechst. Vier Tote sind dann wohl gar kein so schlechter Schnitt, nicht wahr? Immerhin wird fast die Hälfte von uns weiterleben. Wir könnten ja noch ein paar Gäste einladen, dann senkt das die Wahrscheinlichkeit, dass einer von uns dran glauben muss. Yim, möchtest du vielleicht deine Eltern herüberbitten? Sie würden uns einen großen Gefallen tun, denn das verbessert unsere Überlebenschancen. Kleinen Moment, ich hole den Champagner.«
    »Hör auf, Vev«, sagte Philipp. »Niemand wird sterben. Eine Waffe ist verloren gegangen, und das gefällt mir so wenig wie dir. Aber das heißt nur, dass sie weg ist, und nicht, dass sie benutzt wird. Wer von uns hätte Interesse daran, auch nur einen einzigen Schuss abzufeuern?«
    Timo mischte sich in die Debatte ein. »Wir sollten uns trotzdem auf die Suche machen. Leonie, versuche dich zu erinnern, wo du die Pistole verloren haben könntest.« Er sprach in verständnisvollem, aber dringlichem Ton mit ihr.
    Sie war noch immer geistig benommen von der Ohrfeige und musste gedrängt werden zu antworten. »Also ich … Am Strand, glaube ich«, sagte sie und sah abwechselnd Timo und Yasmin an.
    »Jemand«, sagte Timo mit einem Seitenblick auf Philipp, »sollte bei der Polizei nachfragen. Falls die Waffe inzwischen gefunden worden ist …«
    »Es gibt nur eine sehr kleine Polizeistation auf Hiddensee, eine Dependance«, sagte Philipp.
    »Dann vielleicht in Stralsund?«
    Philipp nickte. »Ich finde die Telefonnummer heraus. Den Notruf will ich aber nicht wählen, noch ist ja nichts passiert.«
    Das stimmte zwar, trotzdem steckte der Schreck allen in den Gliedern. Eine geladene Waffe, die nicht mehr dort war, wo sie sein sollte, war wie ein Klopfen des Schicksals.
    Auch Yim bot seine Hilfe an, holte sein Smartphone hervor, suchte kurz und wählte dann die Nummer des Ordnungsamtes. »Die laufen oft den Strand ab«, erklärte er.
    »Leonie, wo sonst könntest du die Pistole verloren haben?«, fragte Timo.
    Sie überlegte. »Auf … dem Weg vom Strand zum Haus. Als wir zurückkamen, bin ich duschen gegangen. Ab da lag die Tasche in meinem Zimmer, den ganzen Abend lang.«
    »Es hilft nichts«, seufzte Timo, der die Koordination in die Hand nahm. »Wir müssen alles absuchen. Leonie, du übernimmst mit Yasmin bitte die Strecke von hier bis zum Strand und die nähere Umgebung des Hauses.«
    Yasmin schien es nicht zu passen, Leonie zugeteilt worden zu sein, aber sie wehrte sich nicht. Gemeinsam machten sie sich auf den Weg.
    Timo setzte sich neben Vev, die ihn ansah. Ihre Aufregung war in der Ohrfeige für Leonie zum Ausdruck gekommen, doch in ihrem Gesicht war davon nur wenig zu finden. Sie zündete sich eine Zigarette an, nahm einen langen Zug und blickte zu Clarissa.
    Timo und sie dachten dasselbe.
    »Man sollte das Kinderzimmer besonders gut durchsuchen«, sagte Timo. »Clarissa hatte durchaus Gelegenheit, die Pistole aus der Tasche zu holen, und Kinder können wie Elstern sein, sie nehmen sich alles, was glitzert oder komisch aussieht.«
    Vev lächelte kaum sichtbar. »Ich bin froh, dass du bei mir geblieben bist. Habe ich mich unmöglich benommen?«
    »Wie eine Mutter, würde ich sagen.« Zwei Dinge wurden Timo klar, während er das sagte. Zum einen, dass es mehr als nur eine Schwärmerei war, was er für sie empfand, ohne zu wissen, wie er es nennen sollte. Er hatte noch nie geliebt, daher war er unsicher, ob das, was da gerade mit ihm geschah, etwas mit Liebe zu tun hatte. Alles sprach dagegen: die kurze Zeit ihrer Bekanntschaft, der Altersunterschied, Ödipus … Zweitens war ihm auf einmal

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