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Das Nebelhaus

Das Nebelhaus

Titel: Das Nebelhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eric Berg
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würdest.«
    Timo sah sie irritiert an. »Was meinst du damit?«
    Doch nachdem Vev diese kryptischen Worte ausgesprochen hatte, beschleunigte sie ihren Schritt und zog an Leonie vorbei wie an einem Laternenpfahl. Timo begrüßte Leonie, und sie folgten Vev in einigem Abstand. Philipps Frau hatte sich schon vorhin an der Bucht ein Strandkleid übergezogen, das nun wie ein Feengewand im Wind wehte, und Timo dachte voller Stolz und Zuneigung: Diese Frau, Timo, wollte dich, diese Frau, Timo, hast du bekommen. Er meinte Meer auf den Lippen zu schmecken, Tränen, Whisky, Rausch …
    Leonie plauderte munter drauflos und stellte ein paar Fragen, die er nebenher beantwortete. Glücklicherweise wollte sie nicht wissen, ob er mit Vev wie versprochen über die Vergebung für Leonie geredet hatte. Er hätte wohl gelogen. Die Wahrheit wäre gewesen, dass er in seiner sexuellen Erregung nicht mehr an ihr Problem gedacht hatte. Es gab jedoch Wahrheiten, die niemanden etwas angingen, auch die Leidtragenden nicht.
    Leonie zeigte sich verhalten gut gelaunt, ihre Besorgnis vom Vormittag hatte sich ein wenig gelegt.
    »Der Ausflug war ganz nett«, fasste sie zusammen, um sogleich einzuschränken: »Der Leuchtturm ist halt ein Leuchtturm und nicht das Kolosseum. Im Fischrestaurant hat mich Clarissa mit Beschlag belegt, mein Essen ist darüber kalt geworden. Yasmin hat sich stundenlang fast nur mit Yim unterhalten, über Buddhismus, die Heilkraft der Steine, Lenin und Kommunismus, Anarchismus, Panflöten, Hildegard von Bingen. Es ging kreuz und quer, so wie in Yasmins Hirn. Und Philipp hat sich als wandelnder Baedeker betätigt und mir den Kopf mit Informationen über Hiddensee vollgestopft, so als hätte ich die Absicht geäußert, die Insel zu kaufen.«
    »Sei froh, dass er mit dir spricht. Heute Morgen war deine größte Sorge, dass keiner mehr etwas von dir wissen will.«
    »Ja, aber die Art, wie er einem zu verstehen gibt, dass er alles besser weiß … Ich sage dir, er hat sich von uns allen am besten amüsiert, obwohl er den Kram bestimmt schon hundertmal erzählt hat.«
    Timo fand den Gedanken tröstlich, dass Philipp sich amüsiert hatte, so als verringerte sich damit seine Schuld.
    »Wie war dein Tag? Bist du mit deiner Geschichte vorangekommen? Warst du schwimmen mit Vev?«
    Kurz nachdem Vev hinter einer Düne verschwunden war, hörten sie einen entsetzlichen Schrei, wie aus einem Horrorfilm. Es folgte ein zweiter, halb erstickter Schrei der Ohnmacht.
    Timo sah Leonie an. »Das war Vev, oder?«
    »Ja, das glaube ich auch.«
    Er rannte sofort los. Die Dünen waren nicht hoch, er kürzte die Wegstrecke ab, indem er hügelan quer durch die spärliche Vegetation lief. Das Nebelhaus war ungefähr einhundert Meter entfernt.
    Zunächst sah er nur Vev, den Rücken ihm zugewandt, die vor irgendetwas erstarrt war, etwas Schwarzem, das unter einer Birke auf dem Boden lag. Der Korb glitt ihr aus der Hand, dann das Strandtuch, das sie unter dem Arm getragen hatte.
    Als Timo näher kam, erkannte er, dass es sich bei dem schwarzen Gebilde um eine der Katzen handelte.
    »Morrison«, sagte Vev. »O mein Gott, was ist mit Morrison passiert?«
    Der Körper des Katers war langgestreckt, die Augen waren geöffnet, die Zunge hing ihm halb aus dem Maul.
    Vev rührte sich nicht. Timo näherte sich dem Tier äußerst behutsam, kniete sich nieder und berührte das Fell. Es war warm, obwohl die Sonne hinter Wolken verborgen war. An Morrisons Kopf und Hals klebte eine ebenso warme Flüssigkeit: Blut. Die linke Seite des Kopfes war eingeschlagen.
    »Lebt er noch?«, fragte Vev mit zitternder Stimme.
    Morrison hatte den glasigen Blick des Todes, den man normalerweise nur Menschen zugesteht.
    Timo schüttelte den Kopf. »Nein, aber lange kann er noch nicht tot sein. Er ist noch warm.« Seine letzten Worte blieben ihm fast in der Kehle stecken.
    Dieses arme Wesen unter seiner Hand, und dann Vev, der das Unglück über die Wangen lief, vom Kinn in den Sand tropfte, neben Morrison, das machte ihn so traurig, als hätte er einen alten Weggefährten verloren.
    »Was wohl passiert ist?«, fragte Leonie. Die anderen beiden hatten fast vergessen, dass sie auch noch da war. Sie stand im Hintergrund, kam nun näher. »Ob er vom Baum gestürzt ist? Oder von einem Hund angefallen wurde? Armer Kerl.« Sie stellte sich neben Vev und fügte hinzu, ohne sie anzusehen: »Das muss furchtbar für dich sein.«
    »Hast du irgendwas gesehen?«, fragte Timo Leonie. Immerhin musste

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