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Das Nebelhaus

Das Nebelhaus

Titel: Das Nebelhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eric Berg
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zuschlägst …«
    Sie drehte sich ohne ein weiteres Wort um und ging in ihre Wohnung, die Tür blieb offen.
    Ich zögere zu behaupten, dass ihr Zustand mein Vorteil war, aber genau so verhielt es sich. Sie hätte mich sonst wahrscheinlich nicht hineingelassen. Als ich die Schwelle ihres Wohn-, Schlaf- und Esszimmers betrat, lag sie bereits auf dem Sofa, ein Strohhalm und ein Handspiegel lagen vor ihr auf dem Tisch. Eine halbvolle Flasche Whisky stand daneben.
    »Darf ich hereinkommen?«, fragte ich.
    Sie gab mir keine Antwort, also machte ich einen Schritt nach vorne, allerdings nur den einen, dann bekam ich Skrupel. Eine Weile bewegte ich mich nicht, sah mich nur um. Mein Blick glitt über verstaubte Weinflaschen, die als Kerzenhalter dienten, das ungemachte Bett in Form einer Schaumstoffmatratze, die Brandlöcher im Teppichboden, die schwarzen Sporen an der Zimmerdecke, die herumliegenden Kleidungsstücke, eine Schallplatte, die sich stumm auf einem alten Plattenspieler drehte …
    Sie sah mich an. Arme Yasmin, ging es mir durch den Kopf. Ich wünschte keinem Menschen das, was sie durchmachte, und kam mir schäbig vor, einfach so bei ihr einzudringen. Aber nicht ich war der Grund für ihr Leiden, und selbst wenn ich sofort gegangen wäre, hätte es nicht das Geringste geändert. Wie Karin schon gesagt hatte: Ich konnte nichts mehr kaputtmachen. Helfen? Vielleicht, ja, ein wenig. Ich konnte aber zumindest Yasmin Germinals Geschichte erzählen.
    Sie war ihr Leben lang auf der Flucht gewesen. Wovor genau, ist schwer zu erklären. Am ehesten vor der Welt, in der sie aufgewachsen war, symbolisiert durch ihre Eltern, deren Geld und Einfluss, Ansehen und Repräsentation. Yasmin fand andere Vokabeln für das Leben, das ihre Familie führte: Gier und Egoismus, Heuchelei und Inhaltsleere. An ihrem achtzehnten Geburtstag floh sie in die Freiheit und wenig später in den Aktivismus, die Resistance gegen alle Ausbeuter. Die Gleichgesinnten wurden zu ihrer Familie. Zweifellos erlebte sie die glücklichsten Momente ihres Lebens als Aktivistin. Ich glaube nicht, dass es Zerstörungslust und Rache waren, die sie umtrieben, und wenn, dann nur zu einem kleinen Teil. Es war Abgrenzung, es war Atemluft, es war Geborgenheit.
    Doch der amazonenhafte Kampf der Yasmin Germinal mündete in die Müdigkeit eines Sisyphos. Einzelne Erfolge konnten sie über die Jahre nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Welt keinen Deut gerechter geworden war. Wer weiß, welche Bilder sie letztendlich aufgeben ließen: die der Schlachttransporte, die der im Mittelmeer ertrinkenden Bootsflüchtlinge?
    Yasmin floh in die Esoterik und Religion, was sich anbot, denn im Körperlosen war sie vor Enttäuschungen wesentlich sicherer als im Konkreten. Sie floh in die Mondscheinnächte, die sie mit Jonny auf das Pflaster inmitten unserer Konsumwelt bannte. Sie behielt ihre Abneigung gegen das Establishment bei, ergänzte sie jedoch um eine spirituelle und jenseitige Ebene. Sie wollte die Welt nicht mehr so hartnäckig verändern wie früher, sondern sie gewissermaßen überfliegen.
    Dann kam Hiddensee, holte sie runter.
    Nach Hiddensee kam die Selbstzerstörung, es kamen die Drogen, die letzte und älteste Zuflucht der Gequälten.
    »Wer schickt dich, hast du gesagt?«
    »Karin.«
    »Karin ist in Ordnung. Aber als sie angefangen hat, hier zu putzen, habe ich sie rausgeworfen. Kommst du, um zu putzen?«
    »Ich bin Journalistin«, erklärte ich ihr noch einmal.
    »Das ist keine Antwort auf meine Frage.«
    Ich lächelte. »Stimmt. Eigentlich bin ich nicht zum Putzen gekommen. Soll ich trotzdem?«
    »Untersteh dich, äh … Ich hab deinen Namen vergessen.«
    »Doro.«
    »Doro … Ach, die bist du. Man hat mir prophezeit, dass du kommen würdest. Yim hat mich heute Morgen angerufen, hatte ich schon fast wieder vergessen.«
    »Yim steht mit dir in Kontakt?« Und mir hatte er gesagt, dass er nicht wisse, wo Yasmin wohnt.
    »Na ja, heute nicht mehr so. Er war ein paarmal hier, ist aber schon ’ne ganze Weile her, letztes oder vorletztes Jahr, was weiß ich. Hab ihn rausgeworfen, genau wie Karin. Whisky?«
    »Danke, ich möchte nichts.«
    »Wenn du nicht mit mir Whisky trinken willst, kannst du gleich wieder gehen. Wo gibt’s denn so was?«
    »Na gut.«
    Sie holte zwei Kaffeetassen und schenkte ein. »Hab früher nicht so auf das Gesöff gestanden, aber inzwischen … Ist eines der vielen Andenken von Hiddensee. Vev hat das Zeug andauernd getrunken. Na, macht es

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