Das Nebelhaus
Handtuches lufttrocknen ließ. Ich setzte mich auf den einzigen Platz, der nicht verstaubt oder verdreckt war, die Klobrille, und versuchte meine Gedanken zu ordnen. Da waren einzusortieren und zu verarbeiten: Yasmins Film und Yims Rolle darin, Yims Halbwahrheiten, Yasmins Rauschgiftkonsum vor meinen Augen, das, was ich unbedingt noch zur Sprache bringen wollte, und schließlich, dass ich ihr von mir erzählt hatte wie zuvor noch keinem. Ich brauchte gewiss eine Viertelstunde dafür.
Als ich aus dem Bad kam, war nur noch ein goldfarbener Streif in der Whiskyflasche, die bei meiner Ankunft halb voll gewesen war, und ich dachte, ich sollte besser keine Fragen mehr stellen und Yasmin in Ruhe lassen. Aber ich hätte auch ein schlechtes Gewissen gehabt, sie einfach so zurückzulassen. Sie hatte sich mir offenbart, und sie war innerlich aufgewühlt, auch wenn die Drogen das überdeckten. Ich wollte wenigstens noch eine Stunde lang ein Auge auf sie haben.
»Ich habe Durst«, sagte ich.
»Möchtest du Whisky?«
An ihrer Miene erkannte ich, dass sie das als Scherz meinte. »Danke, ich hatte schon genug. Hast du Kaffee da?«
»Puh, so harte Sachen rühre ich nicht an. Kann sein, dass noch was da ist. Musst selber gucken. Aber bring nichts durcheinander, ja?«
Noch so ein Scherz: In der Küche sah es um einiges schlimmer aus als in der übrigen Wohnung. Sie war im Grunde nur eine kleine Ausbuchtung des Wohnzimmers, für zwei Leute schon zu eng, und die angenagten Matjesfilets, die verkrusteten Milchreisreste und die hundert geöffneten Dosen machten den Aufenthalt nicht angenehmer. Irgendwie gelang es mir, in diesem Tohuwabohu einen Instantkaffee aufzugießen. Der Versuchung, nebenbei ein bisschen aufzuräumen, widerstand ich, weil ich nicht Karins Schicksal erleiden wollte.
Yasmin trällerte indes ein Liedchen von Nina Hagen. Das Rauschgift hatte sie euphorisiert. »Du willst mich doch bloß aushorchen«, rief sie zwischen zwei Strophen.
»Ich möchte die ganze Geschichte erzählen«, rief ich zurück. »Die Sturmnacht ist nur der Mittelteil. Über das, was in den Tagen davor passiert ist, weiß ich noch viel zu wenig. Genauso über das, was bis heute nachhallt. Darum bin ich hier.«
Ich kam mit zwei Kaffees zurück – Yasmin ignorierte die Tasse, die ich ihr zuschob, geflissentlich.
»Wir sind uns gegenseitig mächtig auf die Nerven gegangen. Ich bin mit Philipp nicht zurechtgekommen, Philipp nicht mit Timo, keiner mit Leonie. Vev und Philipp zofften sich auch, hab da was mitgekriegt. Philipp hat den Spießer gegeben, total verkrampft der Typ. Der wollte sogar Leonie rauswerfen. Na ja, rückblickend gesehen war das gar nicht so dumm von ihm, gebe ich zu. Vielleicht hat er die Tat damit aber gerade ausgelöst …«
Sie trank den Bodensatz Whisky aus der Flasche, griff neben das Sofa, holte eine volle hervor und versuchte vergeblich, sie zu öffnen. »Probier du mal«, sagte sie.
Ich fühlte mich nicht wohl dabei, zum Kompagnon einer Trinkerin und Rauschgiftsüchtigen zu werden, aber wieder beruhigte ich mein Gewissen damit, dass meine Anwesenheit im Grunde keinen Unterschied machte: Würde ich die Wohnung verlassen, würde Yasmin dennoch weitertrinken, würde ich mich weigern, die Flasche zu öffnen, würde sie sie irgendwo anschlagen und köpfen, vielleicht auch eine dritte hervorholen. Also öffnete ich sie. Die Marke wirkte teuer, ich merkte mir den Namen und den Jahrgang.
»Ich mochte Vev, sie hat Philipp ordentlich Kontra gegeben, ihrer Schlagfertigkeit hatte er nichts entgegenzusetzen. Sie hat gemacht, was sie wollte, typisch Freigeist. Und Timo mochte ich natürlich auch. Den durfte ich nerven, ohne dass er gleich an die Decke ging, ein prima Kumpel. Mit dem hat sogar das Streiten Spaß gemacht. Und Clarissa war La Belle, so süß …«
Von da an trank Yasmin, als wollte sie Satzzeichen setzen – ein paar Worte, ein Schluck aus der Flasche, ein Halbsatz, ein Schluck …
»Das ganze verlängerte Wochenende war von Anfang an eine Katastrophe. Diese dämliche Pistole … Ich hatte gleich eine schlimme Ahnung, als ich sie das erste Mal gesehen hab. Sie ist Leonie aus der Tasche gerutscht … und ich weiß noch genau, wie ich die schlechte Energie gespürt hab, die von ihr ausging. Damals … habe ich mich geärgert, dass ich nicht den passenden Stein dabeihatte, um die Energie zu neutralisieren.«
Sie fing an zu kichern. »Als hätte ein Stein etwas ändern können. Heilkräfte, Energien, Auren,
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