Das Nest des Teufels (German Edition)
David, weil er mich nachts um drei nach Hause gebracht und meine Mutter so laut beschimpft hatte, dass das ganze Haus wach wurde und Frau Viirekaid die Polizei rief. Zum Glück wurde David nicht ins Gefängnis verfrachtet, wie es zur Sowjetzeit passiert wäre, sondern nach Hause. Von da an waren wir unzertrennlich, bis David nach Schweden zog und dort zur Polizeischule ging. Ich bewarb mich erst Jahre später in Estland an der Polizeischule. Zuerst studierte ich Theologie, aber dann verkündete mir Gott, es sei meine Aufgabe, gegen Pädophile, Vergewaltiger und Menschenhändler zu kämpfen. Allerdings wurde ich erst im zweiten Anlauf zur Polizeischule zugelassen. Beim ersten Mal war ich an den psychologischen Tests gescheitert.»
Mein Handy klingelte, ich sah, dass Vanamo anrief. Ich sagte zu Rand, ich müsse das Gespräch annehmen. Auf keinen Fall wollte ich ihn in Vanamos Nähe lassen. Zu Vanamo sagte ich: «Keine Sorge, Schätzchen. Ich habe einen Bekannten getroffen, der mir etwas Wichtiges zu erzählen hat. Ich komme bald wieder zu euch. Geht eine Limo trinken, wenn dir die Insel zu langweilig wird.»
«Mir ist überhaupt nicht langweilig. Wir gucken uns gerade die Eulen an. Ist dein Bekannter ein Luchspfleger?»
«Nicht ganz. Ich komme bald, ich rufe dann an. Grüß die Eulen von mir.»
Ich war mir sicher, dass Vanamo merkte, wie gewollt munter meine Stimme klang, aber da sie dazu erzogen war, älteren Menschen zu gehorchen, akzeptierte sie meine Antwort.
«Du bist also in Gesellschaft hier», stellte Rand fest. «Ist es Trankow, den du Schätzchen nennst?»
«Das geht dich nichts an. Übrigens eine ziemlich dürftige Schlussfolgerung für einen Polizisten. Würde ich einem erwachsenen Mann vorschlagen, Limonade zu trinken?»
«Ich kenne Trankows Trinkgewohnheiten nicht. Du wirst jedenfalls erwartet, also fasse ich mich kurz. Ich schloss die Polizeischule ab, arbeitete eine Zeitlang im Streifendienst und bekam dann mit Davids Hilfe eine Stelle in der estnischen Abteilung von Europol. Dort wurde ich schließlich beauftragt, gegen einen großen Pädophilenring zu ermitteln. Das war der Fall, auf den ich schon mein ganzes Leben gewartet hatte.»
Eine Fähre näherte sich der Insel, am Anleger drängten sich Zoobesucher, die zurückfahren wollten. Unter ihnen sah ich auch die beiden Mädchen, denen Rand nachgestarrt hatte. Er dagegen sah nicht hin, sondern blickte auf seine Hände, die er um die Knie geschlungen hatte.
«Mein Chef erklärte, der beste Weg, die Drahtzieher zu überführen, sei es, einen Ermittler in die Bande einzuschleusen. Er fragte, ob es Freiwillige gebe. Ich meldete mich, denn ich brannte darauf, mich an allen Matis zu rächen. Aber ich wäre ja nicht glaubwürdig gewesen, wenn ich … Wenn ich nicht auch etwas getan hätte.»
«Lässt das estnische Gesetz so etwas zu? In Finnland darf ein verdeckt ermittelnder Polizist unter gar keinen Umständen selbst ein Verbrechen begehen. Oder hast du dir dein eigenes Gesetz geschaffen, um deine Tat zu rechtfertigen?»
Rand schwieg minutenlang. Ich hörte das Stimmengewirr am Ufer und das Schreien der Möwen. Schließlich seufzte Rand schwer und sprach weiter.
«Es ist natürlich nicht legal, und das wusste ich. Letzten Endes waren es nur zwei Mädchen, und bei beiden war ich zu nichts fähig. Es widerte mich einfach nur an. Trotzdem zwang ich mich, sie anzufassen, sodass sie sagen konnten, ich hätte sie unsittlich berührt. Ich wusste die ganze Zeit, dass ich falsch handelte, dass ich sie kaputt machte, statt sie zu retten.» Rand nahm wieder die Brille ab und putzte sie mit dem Schal, blinzelte sich die Tränen aus den Augen. «Das Ergebnis war allerdings positiv. Die Pädophilenclique wurde überführt und verurteilt. Aber es wachsen dauernd neue nach wie die Köpfe der Lernäi’schen Hydra, und ich bin kein Herkules. Dass ich aus dem Polizeidienst ausscheiden musste, war eine Erleichterung. David versuchte zwar, mich zu verteidigen, aber seine eigenen Pläne waren ja auch lichtscheu. Meiner Meinung nach war die Entlassung gerechtfertigt, eigentlich war es eine milde Strafe. Ich hätte auch im Gefängnis landen können.»
«Stattdessen bist du ins Kloster gegangen.»
«Du warst ja in Sant’Antimo. Ich empfinde es nicht als Gefängnis, aber jeder baut sich seinen eigenen Kerker. Für einen wie mich ist Sant’Antimo viel zu gut, aber von dort aus kann ich David nützlich sein und zugleich auch Informationen über die
Weitere Kostenlose Bücher